Lange Liste mit großen Lücken

Für einige Arzneimittel entfällt seit zwei Monaten die Zuzahlung. Kassen versprechen sich große Einsparungen, doch Ärzte kritisieren die Regel als viel zu praxisfern

BERLIN taz ■ Auf dem Tresen in der Hausarztpraxis von Günther Egidi liegt seit Juli eine Liste aus. Darauf stehen 20 Medikamente. Wenn der Bremer Arzt eins davon aufs Rezept schreibt, bekommt der Patient in der Apotheke diese Pillen, ohne die üblichen 5 oder 10 Euro pro Packung zuzahlen zu müssen. Viel länger ist eine Auflistung zuzahlungsbefreiter Arzneimittel, die seit Juli als offizielle Datei im Internet abrufbar ist (www.bkk.de). Über 2.600 Medikamente umfasst sie. Doch Egidi, eigentlich ein Anhänger solcher Vorstöße, ärgert sich: „Diese Liste ist handwerklich richtig saumäßig gemacht.“

Seine Kritik: Auf der Liste seien kaum Medikamente, die für eine normale Praxis wie seine in Frage kämen. Dabei sollen sie genau in Arztpraxen wie der von Egidi nachgefragt und verordnet werden. Weil deutsche Ärzte einen Hang dazu haben, teure Präparate zu verschreiben, und die Ausgaben für Arzneimittel im letzten Jahr wieder um 16 Prozent gestiegen sind, hat das Gesundheitsministerium unter Ulla Schmidt (SPD) das Arzneimittelverordnungs-Wirtschaftlichkeitsgesetz (AVWG) erarbeitet. Es soll Pharmafirmen zwingen, ihre Preise zu senken, Ärzte disziplinieren und Verbraucher anregen, gezielt nach günstigen Pillen zu fragen. Seit 1. Mai entfaltet es seine Wirkung. Krankenkassen müssen seither neue Festbeträge bestimmen, die regeln, wie viel die Kassen für ein Medikament erstatten. Die Obergrenzen gelten jeweils für Gruppen von Arzneimitteln mit gleichen Wirkstoffen und gleicher Wirkung. Der Spartrick: Medikamente, die weit unter dem Festpreis liegen, erhalten Patienten gratis. Für Mittel, die teurer sind, müssen sie draufzahlen.

Der Vorstandsvorsitzende des Bundesverbands der Betriebskrankenkassen, Wolfgang Schmeinck, zog gestern eine positive Zwischenbilanz: „Die Neuregelung ist ein voller Erfolg: Die Arzneimittelpreise sinken, viele Versicherte sparen Zuzahlungen und die Krankenkassen Ausgaben.“ Die gesetzliche Krankenversicherung könne auf diese Weise im nächsten Jahr etwa 340 Millionen Euro einsparen. Im November soll die Liste im Internet deshalb um fast 15.000 Mittel ergänzt werden.

Aber der Ansturm der Verbraucher blieb bei Günther Egidi bisher aus. „Es gibt lauter Medikamente, die entweder in der Klinik verabreicht werden oder für Kinder sind“, erläutert der Arzt das ausbleibende Interesse. Zum Beispiel das Antibiotikum Amoxcyllin. Es ist entweder als Großpackung erhältlich, die dreimal so viel Tabletten enthält wie notwendig. Oder als Kindersaft, der sowieso zuzahlungsbefreit ist.

2007 wird die zweite Stufe des AVWG gezündet: Dann soll zusätzlich die so genannte Bonus-Malus-Regel kommen. Das heißt: Ärzte müssen Strafe zahlen, wenn sie von einem Wirkstoff nur die teuren Präparate verschreiben. Wer aber billig verordnet, kann einen Bonus kassieren. Egidi sieht die angekündigten Prämien skeptisch: „Wenn die Patienten den Eindruck bekommen, dass der Arzt auf ihre Kosten spart, wird es kritisch.“ Die Malus-Regel indes hält er für überfällig: „Es muss endlich mal eine Drohung her.“

ANNA LEHMANN