Die Exotik des Schwerfälligen

Wird im Norden anders über das Verbrechen und seine Aufklärung geschrieben als sonstwo? Obwohl ihr Herausgeber das bejaht, vermag eine demnächst erscheinende Anthologie zum „Morden im hohen Norden“ es nicht recht zu unterstreichen

von JENS FISCHER

Hurra, wir leben noch – und das im Norden. Der sich aus heimtückischem Grund auf Morden reimt. Ist es hier etwa nicht immer so unmoralisch windig, so verbrecherisch nebulös, so mörderisch flach? Sind wir eigenbrötlerischen Ureinwohner nicht stets zu allem fähig? Lauert hinter der rau zurückhaltenden Herzlichkeit nicht blankes Grauen? Hier in Norddeutschland können die Täter so kühl sein wie das Wetter, sympathisch behäbig hingegen die Aufklärer des Verbrechens.

„Alles nur Klischees“, weiß Bernhard Matt, dienstältester Krimi-Lektor Deutschlands. Vermarkten die Verlage doch schon immer regionale Klischees: Dreiecksgeschichten importiert man aus Frankreich, Kindheiten aus Irland, Grusel aus England, Familienstorys aus Amerika. Was mehr mit den Erfolgen weniger Bücher zu tun hat als mit Traditionen. So ist Norddeutschland auch kein Killer-Mekka. Aber die „Exotik des Nordens“, sagt Matt, funktioniere in der Kriminalliteratur nach wie vor. So hat er den Bremer Autor Jürgen Alberts nun eine Anthologie namens „Morden im hohen Norden“ zusammenstellen lassen. Der Band versammelt Kurzgeschichten von 25 literarischen SerientäterInnen aus Norddeutschland. Das indes verortet der Lektor aus München „nördlich der Donau“, und so sind auch nordrhein-westfälische Autoren dabei.

Egal. Die Buchpremiere richtete man nun in der Bremer Stadtbibliothek aus – stimmungsvoll durchblinkt von der Kitschminiatur des Leuchtturms Roter Sand. Derart animiert, plauderte Bremens Polizeipräsident Eckhard Mordhorst davon, bereits „400 Leichen in allen erdenklichen Zuständen“ gesehen zu haben. Gerade deswegen lese er „zur Entspannung“ gerne Krimis. „Um etwas von der Psychologie und den gesellschaftlichen Umständen von mörderischer Gewalt zu erfahren.“ Das sei vor allem bei Schwedenkrimis, Sjöwall/Wahlöö & Co., möglich. Woraufhin Schreiberin Nina George betonte, auch ihr gehe es um „Abbildung gesellschaftlicher Realität“.

George ist eine von etwa zwei Dutzend AutorInnen so genannter Hamburg-Krimis. Was sie als Journalistin nicht schreiben dürfe, erklärt George, packe sie in ihre Bücher, entwickele haarscharf am Fakt entlang die Fiktion. Da sie auch als Sexkolumnistin (Cosmopolitan) arbeitet, überrascht es wenig, dass bei ihr aus Liebe&Leidenschaft gemordet, Sex&Gewalt&Abgebrühtheit vermengt wird. Hamburg eben – als Klischee. Wen das interessiert? „Krimileser sind Voyeure ihrer selbst“, meint George: Sie vergleichen sich mit anderen, loten dabei die eigene kriminelle Energie aus.

Pfarrerstochter Sandra Lüpke von Juist ist die Vertreterin der Inselkrimis. Ihrer Ansicht nach eignet sich der Insel-Norden besonders als Krimi-Ort: ein abgeschotteter Mikrokosmos, jeder habe Dreck am Stecken, vieles gäre lange im Verborgenen, bis es eskaliere. Aber dann kann keiner abhauen, alle Verdächtigen sind gefangen vom Meer – eine Isolation und Konzentration wie bei Agatha Christies „Mord im Orientexpress“. Trotz dieser idealen Voraussetzungen hat Lüpke ihren neuen Krimi im Teutoburger Wald angesiedelt: „Ich wollte mal nicht nur Sand, Meer, Backsteinhäuser, auch mal Wald und Fachwerkhäuser beschreiben.“

Und was unterscheidet den Hamburg- vom Köln-Krimi? „Wenig“, erklärt Jürgen Alberts, „das sind Großstadtkrimis.“ Die kriminelle Durchwirkung des unwirtlich Urbanen sei überall gleich, die Verflechtung von Macht und Geld heiße einmal Klüngel, einmal Filz, und irgend eine Mafia erpresse in jeder Metropole irgendwen. Regionalkrimis aber sind anders. Not, Elend und Verheißung der globalen Welt erscheinen weniger dominant, familiäre Strukturen sind noch vorhanden, Geschichte und Tradition spürbar. Das ländliche Leben wirkt undurchdringlich, also geheimnisvoll.

Nur: Ob Eifel- oder Küstenkrimi, erklärt Lektor Matt, die Geschichten seien gleich. Auch die Mordmotive hätten sich seit Shakespeare nicht geändert: „Liebe, Macht, Reichtum“. Nur die Mentalität der Figuren sei unterschiedlich, so Matt, „schwerfälliger“ wirkten sie im Norden. „Morden im hohen Norden“ sei eher ein gut zu vermarktendes Label als ein eigenes Genre.

Alberts relativiert: „Einmalig ist das Klima, der Einfluss des Meeres, die Atmosphäre, aus der sich ein eigenes Gefühl für Spannung und Emotionalität entwickeln lässt.“ Viel Platz bleibt der Fantasie in der Ruhe und Weite der Landschaft. Was sich deutlich von aktuellen Trends aus Russland und Amerika abgrenzt: vielfach ohne Polizei und Rechtsverständnis laufen die Geschichten zunehmend brutaler ab, so dass das Happy End allenfalls im Überleben besteht. Hurra, dass wir im Norden leben, dem Krimiland der Gemütsmenschen.

Jürgen Alberts (Hg.): „Morden im hohen Norden“, Heyne Verlag, 320 S., 8,95 Euro. Infos zur Lesereise unter http://www.juergen-alberts.de/termine.html