berliner szenen Das Alphabet der Stadt

T wie Tiergarten

Tiergarten ist nicht Zoo, Zoo ist nicht Tiergarten. Trotzdem lässt sich an einem Sonntag wie diesem gut vorstellen, wie hier Giraffen und Elefanten durch die Straßen traben. Oder schwarze Pferde.

In der Lützowstraße ist es unglaublich still. Das „Kumpelnest 3000“ wirkt unscheinbar, als ob es nichts von den nächtlichen Abstürzen ahnte. Vor der verwaisten Stadtteilbibliothek steht ein herrenloses Wohnmobil mit Anwohnerparkausweis und macht sich gut da. Auf dem Dach des Adenauerhauses flattert eine sieche Fahne. Es sei langweilig, in einen Fluss zu schauen, in dem keine Leiche schwimmt, hat Herbert Achternbusch einmal geschrieben, aber das war in Paris. Und hier fließt keine Seine unter der Corneliusbrücke durch, nur der Landwehrkanal. Außerdem scheint die interessantere Frage zu sein, ob man nun gegen die oder mit der Strömung schaut.

Im Café am neuen See stehen die Menschen für Kuchen an. Zeitungen flattern über die Bierbänke hinweg. Des Ruderns Verdächtige setzen sich vom Ufer ab. Durch den Park, dem eigentlichen Tiergarten, radeln Kinder, debattieren Geschäftsleute über Freizeitprobleme, führen Hundeführer Hunde herum, lustwandeln Paare. Große Beseelung. Die gute Luft, das schöne Licht, der dichte Wald, die stehenden Gewässer. Der Konsum der Romantik. Aus den Budenrückseiten singt es aus Transistorradios. Von der Liebe, von ewig wiederkehrenden Sonntagen. Am Großen Stern hingegen dröhnt lautes Hupen. Dort üben Autos für die nächste Love Parade.

Was macht man hier, wenn es Winter wird? Ohne Haustier, Nachwuchs, Aktien, Liebhaber? Man schaut in die Röhre, sprich in den neuen Straßentunnel. Oder man geht zum Weinen ins Stelenfeld. RENÉ HAMANN