Jetzt haben wir den Salat

Der Skandal um Gammelfleisch weitet sich immer weiter aus? Gut so. Denn so haben wir die schöne Gelegenheit, parallel zur Berichterstattung über unser eigenes Konsumverhalten nachzudenken

von ARNO FRANK

Eigentlich hat es der US-Komiker Bill Maher sehr schön auf den Punkt gebracht: „Die Lebensmittelindustrie füttert uns mit Produkten, die uns auf lange Sicht töten. Das macht aber nichts, solange uns die Pharmaindustrie mit Gegengiften versorgt.“

Nein, über Todesopfer ist im jüngsten Fleischskandal nach nichts bekannt geworden, nicht einmal über eine Lebensmittelvergiftung. Im Kühlhaus eines Münchner Großhändlers waren nach einem anonymen Hinweis vergangene Woche „weit mehr als zehn Tonnen“ Dönerfleischspieße entdeckt worden, deren Haltbarkeitsdatum teilweise bereits vor vier Jahren abgelaufen war. Das Fleisch zeigte Frostbrandspuren, war grünlich vor Schimmel und nicht nur mit Erde, sondern auch mit Grassamen verdreckt.

Dahinter steckt bestimmt eine turbulente, interessante Geschichte, der die Polizei allerdings noch nicht nachging, weil sie zugleich auch 30 bis 40 Tonnen Entenfleisch entdeckte, das ebenfalls nicht mehr ganz lecker gewesen sein soll. Kurz darauf stellten die Ermittler bei einem Deggendorfer Händler 40 Tonnen teilweise verdorbenes Rindfleisch sicher, eine halbe Tonne davon hatte bereits drei Jahre auf dem Buckel.

Vor allem das Dönerfleisch sei, so der Stadtdirektor Horst Reif, in einem „ekelerregenden Zustand“. Wie übrigens auch der Verbraucherschutz in Deutschland, wenn man sich das taktische Kompetenzgerangel der beiden CSU-Verbraucherschutzminister anschaut – in Bayern hat Werner Schnappauf versagt, für den Bund mag Horst Seehofer nicht verantwortlich sein. Dabei ist gewiss nicht falsch, was die Bayern zu ihrer Verteidigung vorzubringen hatten: „Da ist man sehr auf Zufallsfunde angewiesen.“

Regelrecht drollig dagegen sind die augenfälligen Bemühungen, den Schaden zu begrenzen: Das Fleisch sei entweder aus dem unseriösen Ausland gekommen (Thailand!) oder auf dem Weg dorthin gewesen (Ach, wenn das so ist!), von Asia-Shops war die Rede (Die essen ja auch Hunde, die Asiaten!), und in den „Tagesthemen“ diente stets eine klassische Dönerbude als Ort und Hort allen Ekels.

Die Botschaft ist klar: Wenn Fleisch zu den Spielregeln der Globalisierung verschoben und dabei über einen Zeitraum eingefroren wird, der die durchschnittliche Lebenserwartung des betreffenden Tieres bei weitem übertrifft, dann … tja, dann sollte eben mehr beim lokalen Metzger um die Ecke eingekauft werden, „mit eigener Schlachtung“.

Empfohlen werden uns also genau jene Wursttheken, in denen wir als Kinder auf perfide Weise zum Fleischwurstverzehr angefixt wurden. Wer noch nie gesehen hat, wie ein fleischverkaufendes Bluthochdruckwunder mit generöser Geste dem Nachwuchs Fleischwurst oder Salami andient, der dürfte ohnehin Vegetarier und damit aus dem Schneider sein.

Allen anderen Konsumenten dürfte allmählich dämmern, dass ihre fleischfreundliche Ernährung endgültig aufgehört hat, eine rein weltanschaulich-ethische Frage zu sein. Es ist eine Frage der Vernunft geworden. Ein leckeres Schnitzel oder einen würzigen Döner aber lässt sich die Mehrheit der Deutschen – jeder verbraucht jährlich etwa 90 Kilogramm Fleisch – ebenso wenig ausreden wie die weit verheerendere Verbrennung fossiler Brennstoffe. Für beides, Sprit wie Schnitzel, zahlen wir bekanntlich einen subventionierten, lächerlich niedrigen Preis.

Es ist eine weit verbreitete, rechtschaffene und äußerst effektive „Man gönnt sich ja sonst nix“-Mentalität, die den Ekel vor Halbverwestem ausblendet und selbst das billige Supermarktsteak als Luxus deklariert, weil ein Steak, das ist halt „was Gescheites“. Öko ist hier nicht nur unsexy, es macht auch nicht satt.

Bill Maher übrigens liegt es fern, sein Publikum zum Vegetarismus zu bekehren: „Du willst kein Gemüse? Echt nicht? Okay, dann stirb halt.“