Tag der Herzen am Tag der Heimat

Erika Steinbach versucht sich beim Jahrestreffen der Vertriebenen als Umarmungsstrategin. Der Bundespräsident preist das gemeinsame Aufbauwerk in der Nachkriegszeit. Gleichwohl halten sich viele der Vertriebenen immer noch für ausgegrenzt

Aus Berlin CHRISTIAN SEMLER

Keine schrillen Töne, keine bittere Klage. Der „Tag der Heimat 2006“, veranstaltet vom Bund der Vertriebenen (BdV) hatte den Bundespräsidenten Horst Köhler zu Gast, dessen Familie aus Bessarabien stammt. Also einen Abkömmling jener „Volksdeutschen“, die, von Hitler im besetzten Polen angesiedelt, am Ende des Krieges in die urursprüngliche Heimat, nach Schwaben, flohen. Die Bessarabien-Deutschen, alles rechtschaffene, immerzu ackernde Christen, fanden sich schnell zurecht im westlichen Deutschland.

Angesichts dieser Sozialisation fiel es Horst Köhler leicht, das Hohelied der Nachkriegsintegration von Flüchtlingen und Vertriebenen zu singen und sie nebenbei wegen „ihres Fleißes, ihres Leistungswillens und ihrer Bereitschaft, sich auf Neues einzustellen“ auch als Vorbilder für die Gegenwart zu preisen.

Zu der umstrittenen Frage des „richtigen“ Gedenkens an Flucht und Vertreibung stellte Köhler die Ausstellung des Bonner Hauses der Geschichte „Flucht, Vertreibung, Integration“ heraus und verwies auf das Projekt eines „Europäischen Netzwerks Erinnerung und Solidarität“, das von den Präsidenten Rau und Kwaśniewski begründet worden war. Gleichzeitig vertrat Köhler die Meinung, der BdV „könnte und sollte“ sich an dem Museumsprojekt beteiligen, das im schwarz-roten Koalitionsvertrag als „sichtbares Zeichen“ des Gedenkens geplant ist. Die Reaktion des polnischen Premiers Jarosław Kaczyński kam ebenso prompt, wie sie erwartbar war. Ohne auf Köhlers Rede einzugehen, wertete er dessen Auftreten am „Tag der Heimat“ als „beunruhigendes Ereignis“.

Erika Steinbach, Vorsitzende des BdV, übte sich in ihrer Rede geschickt in Umarmungen. Sie grenzte das vom Bund der Vertriebenen begründete Unternehmen „Zentrum gegen Vertreibungen“ nicht von der Idee eines europäischen Netzwerks oder der Ausstellung des Bonner „Hauses der Geschichte“ ab. Das „Zentrum“ bezeichnete sie als Avantgardeprojekt, ohne das es die intensive Diskussion der letzten Jahre zu Flucht und Vertreibung nie gegeben hätte. Es wird auf alle Fälle aufgebaut werden. Für Realisierung des zukünftigen „sichtbaren Zeichens“ an Flucht und Vertreibung in Berlin als Bundesinstitution sagte sie, es könne nicht über die Köpfe der Vertreibungsopfer hinweg installiert werden. Ansonsten gab sich Erika Steinbach wundermild, ließ in ihrer Rede fünfmal das Herz sprechen und sagte über den ehemaligen Innenminister Otto Schily, sie sei nach Gesprächen mit ihm „positiv überrascht“ gewesen und hoffe, dass dies auf Gegenseitigkeit beruhe – eine Hoffnung, die bestimmt nicht getrogen hat. Schily hatte auf der Versammlung die Laudatio auf die posthume Verleihung einer Ehrenmedaille des „Zentrums“ an Peter Glotz, den ehemaligen „Zentrums“-Kovorsitzenden gehalten. Stärksten Beifall erhielt Schily, als er Peter Glotz mit den Worten zitierte, man müsse über die Vertreibung „wenigstens offen reden können“. An Reaktionen dieser Art war spürbar, dass viele Mitglieder des Bundes der Vertriebenen immer noch dem Irrglauben anhängen, sie würden ausgegrenzt und erhielten sogar Redeverbot.

Erika Steinbach forderte ein weiteres Mal einen Gedenkfeiertag für die Opfer von Flucht und Vertreibung. Unter den Tisch fiel beim „Tag der Heimat“ hingegen jegliche Aussicht darauf, wo und wie östlich der Oder und Neiße gemeinsame Gedenkprojekte deutscher Vertriebener und heute in ihrer neuen Heimat lebender Polen in Angriff genommen werden – wo die Zivilgesellschaft auch ohne Weisung von „oben“ in Aktion tritt.

Zeitgleich zu der Berliner Veranstaltung des BdV fand in Gorzow, dem alten Landsberg, eine Feier statt, auf dem eine von den „alten“ Landsbergern gestiftete Friedensglocke auf dem von der Gorzower Stadtverwaltung neu errichteten Glockenturm am alten Musterplatz, dem heutigen Plac Grunwaldzki, erklang. Auf der Glocke sind die Worte „Pokoj-Pax-Frieden“ eingraviert.