piwik no script img

Jetzt ist mal der Mathias dran

Claudia Roth winkt. Grün ist mega-in, sagt sie. Die Freundinnen finden Roth cool„Wichtig ist vor allem, dass wir den Kampf nicht verlieren.“ Kurz ist es still

Aus Berlin Johannes Gernert

Sie wollen also über die Zukunft reden. Eike Heinicke ist aus Kaiserslautern angereist. Er hat schon eine Lösung dabei: Energie teurer machen, Lohnnebenkosten senken. Die Sozialkosten dann mit Energieeinnahmen bezahlen.

Heinicke sitzt auf dem kalten Fliesenboden vor der Bühne im Berliner Energieforum. Neben ihm seine Tochter Laura und zwei Freundinnen. Vor ihnen auf Stühlen: Claudia Roth, Reinhard Bütikofer, Fritz Kuhn und der Rest der Grünen-Führung. Die Mädchen schauen auf die zwei großen, bunten Würfel, die über dem Podium hängen. „Ökologie und Innovation“ steht auf einem. Gerade beugt sich ein alter, grauhaariger Mann übers Mikrofon. Zygmunt Baumann hat als Soziologieprofessor in England gelehrt. Er sagt: „Die Zukunft gibt es noch nicht. Die Zukunft wird gemacht. Sie wird von Menschen gemacht.“ An diesem Wochenende werden an die 2.000 Menschen zusammen darüber nachdenken, wie man die Zukunft möglichst grün machen kann.

„Wie geht’s nach morgen?“, steht auf großem, grünem Grund hinter dem Redner. Draußen auf der Spree fährt ein Ausflugsdampfer vorbei. Claudia Roth winkt den Touristen zu. Grün ist nicht out, sondern mega-in, hat sie gerade gesagt. Laura und ihre Freundinnen finden Roth cool. Laura Heinicke möchte sich bei den Grünen engagieren, wie ihr Vater, der Arzt, das Gründungsmitglied. Aber jetzt will sie erst einmal schlafen. Sie sind alle ein bisschen müde nach den vielen Eröffnungsreden.

Der Softwareentwickler Mathias Schneider hat sich auch alles angehört. Schneider, im Bart die ersten grauen Haare, unterm Pulli ein Atomkraft-nein-danke-Shirt, geht noch auf ein Bier rüber zum Sommerfest. Er ist aus Duisburg nach Berlin gekommen. „Ich hab’ mir mal ein paar Sachen überlegt“, sagt er. „Ich werd’ versuchen, die da einzubringen.“ Morgen in den Workshops. Er hofft, wenigstens ein Mal zu Wort zu kommen.

Schneider ist erst vor der vergangenen Bundestagswahl Mitglied geworden. Vorher hat er die Grünen zwanzig Jahre lang gewählt. Er will einen sozialen Staat mit ökologischen Grundsätzen, sagt er. Einen Staat, der auch mal Atomkraftwerke abschaltet. Er will vor allem keine schwarz-grüne Zukunft, sonder eher eine rot-rot-grüne. „Was schwarz-grün heißt, kann man in Duisburg sehen“, sagt Schneider. Dort sollen zwölf Hektar Wald abgeholzt werden. Das sind etwa 10.000 Bäume, sagt er.

Er will mithelfen, die Grünen wieder ein Stück nach links zu bringen. Mathias Schneider definiert links so: „Je mehr Demokratie, desto linker.“ Demokratie heißt für ihn mitreden. In Internetforen, in Arbeitsgemeinschaften, und nun auf dem Zukunftskongress. Das ist das Gute, sagt er, dass man bei den Grünen mitreden darf.

Am Samstag muss er erst einmal zuhören. Der Tag beginnt mit Podiumsdiskussionen. Schneider erfährt etwas über die Globalisierung in China. Menschenrechte nicht dem Markt überlassen, wird auf dem Podium gefordert. Er nickt mehrmals.

Dann der erste Workshop: „Gibt es einen ökologischen Kapitalismus?“ Er sitzt auf einem Pappkarton hinter einer Holzverstrebungen. Raum 24 ist voll, fast alle Kartons sind besetzt.

„Wir müssen die Leute im sozialen Bereich mitreißen“, sagt jemand. Verbraucher sind keine Engel, sagt jemand anderes. Sie fahren Auto, auch wenn es einen Discobus gibt. Schneider ist nicht der Einzige, der gekommen ist, um etwas zu sagen. Ist ja klar, denkt er: Vier, fünf Jahre lang wurden bei den Grünen gar keine Debatten geführt. Da wurde regiert, nicht diskutiert. Es gibt Nachholbedarf. Und an diesem Wochenende wird im großen Stil nachgeholt. 52 Workshops, jeweils zweieinhalb Stunden. Außerdem haben die Öffentlichkeitsarbeiter der grünen Bundestagsfraktion eine Kamera aufgestellt. Dieser Kamera dürfen die Leute Forderungen an die Fraktion anvertrauen. Das Ganze läuft dann vorne auf dem Bildschirm. Mathias Schneider verzichtet darauf, sich hier zu äußern. Der Bundestagsfraktion hinterlässt er sowieso fast jeden Tag eine Botschaft im Onlineforum.

Um wirklich zu verstehen, wie viele Botschaften bei diesem Zukunftskongress fernab vom Videoschirm zirkulieren, muss man sich in einen Flur stellen, etwa zwischen die Räume 4, 10 und 12. „Warum trifft die Jugend immer auf einen so unbeweglichen Koloss wie die Schule?“ Helle Frauenstimme aus Raum 12. Aus Raum 10, etwas tiefer, ein Mann: „Der qualifizierte Marktzugang dient mehr als nur einem protektionistischen Außenschutz.“ Raum 4, Dialekt süddeutsch: „Ich hab’ im Alpenverein Jugendweiterbildung gemacht. Und da hab’ ich gemerkt: Sich mit Heimat so auseinandersetzen, dass ein politischer Begriff rauskommt, ist ganz schwierig.“ Eine bemerkenswerte Vielfalt an Stimmen, Stilen, Themen, Argumenten prallt hier aufeinander. Nur die verbrauchte Luft, die nach draußen weht, ist überall dieselbe.

Laura und ihre beiden Freundinnen besuchen einen Workshop zur Bildungspolitik. Sie gehen in die neunte und zehnte Klasse, Gymnasium. Sie finden, dass sie das betrifft. Es wird darüber geredet, wie man die Schule am besten verbessert. Noten abschaffen, Fächer abschaffen, meinen die einen. Schuluniformen einführen, sagen andere. Am Ende werden Zettel verteilt. Alle dürfen Vorschläge aufschreiben. Laura schlägt vor, dass man die Schüler erst einmal darüber informiert, wie schlecht die Schule ist. Das wüssten die meisten ja gar nicht. Sie hat es vorher selbst auch nicht gewusst.

Drei Stockwerke höher, im Raum 23, fühlt sich Eike Heinicke, Lauras Vater, wie im Klassenzimmer. Vorne am Tisch sitzen vier Referenten und hören nicht auf vorzutragen. Als wären sie Lehrer. Sehr interessant alles, aber zu frontal. Er hat das schon einmal erlebt, bei einer anderen Veranstaltung. Grünen-Funktionäre saßen auf einem Podium und wollten gar nicht diskutieren. Die hatten alles schon fertig in ihrem Kopf. Da ist er fast ausgeflippt. Man muss doch erst mal zusammen überlegen, hat er gesagt.

Man müsste im Kreis sitzen, denkt er jetzt, nicht so frontal. Über seine Lösung – Energiekosten rauf, Lohnkosten runter – kann er hier nicht sprechen. Aber er notiert sich einige Argumente für die Diskussionen zu Hause, in Kaiserslautern.

Gegenüber im Raum 24 ist Mathias Schneider gerade aufgesprungen und musste sich dann wieder setzen. Erst ist noch der dran, der auf dem Karton hinter ihm sitzt. Der Moderator schlägt vor, dass sich die Leute in ihren Beiträgen auch mal auf die Vorredner beziehen. Es ist aber nicht so einfach, den anderen zuzuhören. Auch Mathias Schneider merkt das, während er dem eigenen Einsatz entgegenfiebert. Eine Landschaftsökologiestudentin hat vorhin gesagt, dass man auch an die Moore denken muss. Korallenriffe seien auch wichtig.

Raum 24 ist einer der größten Räume, in vielen kleineren diskutieren Mitglieder, Politiker und Experten wirklich miteinander. Manchmal hängen danach Flipchartplakate mit Ergebnissen an der Wand, zur Ökosteuerreform etwa: „Kerosinbesteuerung, Ressourcenverteuerung, ökologischer Rucksack: Entsorgungskosten,Transportkosten.“

Der Vorredner ist fertig. „So, ich denke, jetzt bin ich mal dran“, sagt Mathias Schneider und steht zum zweiten Mal auf. Er hat einen ziemlich großen Schweißfleck auf dem schwarzen Sweatshirt. Es ist warm hier drin, und er ist wirklich sehr aufgeregt. „Wir stehen an einem Scheideweg“, beginnt er.

Mathias Schneider sagt, dass die Katastrophe möglich ist. Zusammenbruch der Wirtschaftssysteme, der Umwelt. Man soll das nicht zu optimistisch sehen. Es gebe keinen ökologischen und sozialen Kapitalismus. Es sei ein ständiger Kampf, „meinetwegen nicht zwischen Gut und Böse, aber zwischen verschiedenen Kräften“. Die Kräfte des Kapitalismus müssen ständig gebändigt werden, sagt er. „Wichtig ist vor allem, dass wir den Kampf nicht verlieren dürfen.“ Kurz ist es still. Dann klatscht jemand ganz vorsichtig.

Die Mittagspause dauert eine Stunde. Im Ökowurstdunst zwischen den Essenszelten gesellen sich Roth, Bütikofer und die anderen zur Basis, wenn sie drinnen nicht gerade Interviews geben. Eike Heinicke und die drei Mädchen sitzen draußen in der Sonne. Sie essen schnell ein paar Nudeln und ein bisschen Wokgemüse. Eigentlich wollten sie eine kleine Stadtrundfahrt machen. Eine der Freundinnen würde auch wirklich gerne. Aber Heinicke sagt: „Wir haben ein heftiges Thema hier: die Zukunft.“ Sieben Jahre Regierungsbeteiligung haben ihn kompromissbereit gemacht. Sie fahren nach dem Essen kurz mit der S-Bahn zum Alexanderplatz, zwei Stationen. So verpassen sie die Podiumsdiskussionen, aber sie sind rechtzeitig zu den Workshops zurück.

Am nächsten Morgen tragen Mathias Schneider, Eike Heinicke und die drei Mädchen Pappkartons von Pinnwand zu Pinnwand. Auf denen hängen im Erdgeschoss der großen Glashalle die Diskussionsergebnisse vom Vortag aus, thematisch geordnet. „Ja, gut, Ergebnisse“, sagt Mathias Schneider. In seinen Workshops wurde viel Grundsätzliches beredet. Da war es natürlich so: Fast jeder wollte etwas sagen, fast jeder hat etwas gesagt, dann war die Zeit um. Aber zumindest die Diskussion über den ökologischen Kapitalismus soll fortgesetzt werden. Außerdem hat er einige Politiker aus seinem Landesverband sprechen können. Eigentlich wollte er auch mal mit dem Christian reden, mit Hans-Christian Ströbele. Aber dem wird er dann eben eine E-Mail schreiben.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen