Polizei räumt Zeltlager am Stuttgarter Bahnhof

PROTEST Zehntausende demonstrieren erneut gegen Stuttgart 21. Bahnchef bietet Gespräche an, warnt aber vor einem Baustopp

„Das ist ein Akt der Barbarei, das ist purer Vandalismus“

KLAUS ARNOLDI, VCD

AUS STUTTGART NADINE MICHEL

Im Stuttgarter Schlossgarten hat die Polizei am frühen Sonntagmorgen eine Zeltstadt geräumt. Mit dieser hatten Gegner des Milliardenprojekts Stuttgart 21 den Platz nahe dem Hauptbahnhof schützen wollen. Etwa 200 Zelte mussten wieder abgebaut werden, die meisten Demonstranten taten dies freiwillig.

Aufgebaut hatten sie die Zelte am Samstagnachmittag, als erneut Zehntausende im Schlossgarten gegen den Bau des Tiefbahnhofs demonstriert haben. Zu der von den Organisatoren ausgerufenen „Volksversammlung“ waren nach Veranstalterangaben 55.000 Menschen gekommen. Die Polizei kam erneut „nur“ auf rund 33.000. Seit Wochen gehen die Teilnehmerzahlen stark auseinander und sorgen immer wieder für verärgerte Diskussionen aufseiten der Gegner, die die Zahlen der Polizei für politisch beeinflusst halten.

Angesichts einer „so gigantischen Zahl an engagierten Bürgern“ erinnerte der Grünen-Europaabgeordnete Michael Cramer an den Protest vor 35 Jahren gegen das geplante Atomkraftwerk in Wyhl. Damals sei die Protestbewegung das Vorbild für die bundesweite Anti-Atom-Bewegung gewesen. Zudem warnte er davor, Stuttgart 21 als isoliertes Projekt zu betrachten. Im Zuge des „Höchstgeschwindigkeitswahns“ würde vor allem der Nahverkehr stiefmütterlich behandelt. Doch gerade dieser sei „das Rückgrat der Bahn“.

Für Wut unter den Gegnern sorgte noch einmal die Haushaltsdebatte, die in der vergangenen Woche im Bundestag geführt worden war. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte dabei einer Volksabstimmung eine Absage erteilt und gesagt, dafür reiche die Landtagswahl in Baden-Württemberg im März nächsten Jahres aus. Angesichts der fortschreitenden Bauarbeiten bezeichnete Cramer derartige Aussagen als „zynisch“. Er forderte einen sofortigen Baustopp.

Was die Projektträger von dieser Forderung halten, zeigen sie täglich am Nordflügel des Stuttgarter Bahnhofs. Der ist inzwischen so gut wie komplett abgerissen worden. Immer wieder kursieren Gerüchte, dass auch die Baumfällungen im Schlossgarten beginnen könnten. Zudem muss auch der Südflügel noch der Abrissbirne weichen.

„Das ist ein Akt der Barbarei, das ist purer Vandalismus“, kritisierte Klaus Arnoldi vom ökologischen Verkehrsclub Deutschland. „Hier wird nicht nur ein Bahnhof zerstört, hier wird ein Kulturdenkmal abgerissen.“ Die Politik solle endlich zugeben, dass Stuttgart 21 kein verkehrspolitisches, sondern ein städtebauliches Projekt sei.

Bahnchef Grube appellierte im Nachrichtenmagazin Spiegel an die Gegner: „Lasst uns an einen Tisch setzen, lasst uns gemeinsam die Experten anhören. Die Wahrheit muss endlich auf den Tisch.“ Zugleich warnte er davor, den Protesten nachzugeben: Bei einem Baustopp entstünden Kosten in Höhe von mindestens 1,4 Milliarden Euro, darüber hinaus müssten weitere 1,8 Milliarden für die Erneuerung von Gleisvorfeld und Abstellanlagen finanziert werden. Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Winfried Hermann sagte allerdings dem Magazin, ein Baustopp während solcher Gespräche wäre das Mindeste, was die Bahn den Gegnern anbieten müsste.