„Brutalität ist noch die Ausnahme“

Die 2004 in Oslo gestohlenen Munch-Gemälde sind wieder da, Caspar David Friedrichs „Nebelschwaden“ kamen vor drei Jahren zurück an die Elbe. Glücksfälle. Aber wie gut ist ein Museum zu sichern? Fragen an den Hamburger Kunsthallen-Geschäftsführer Tim Kistenmacher

Interview: Petra Schellen

taz: Ein Kunstraub, bei dem vor aller Augen die Gemälde von den Wänden gerissen werden wie in Oslo – könnte der auch in der Hamburger Kunsthalle passieren?

Tim Kistenmacher: Bei der kriminellen Energie, die die Munch-Räuber bewiesen haben, wäre das in jedem Museum möglich. Allerdings ist eine solche Brutalität bislang die große Ausnahme.

Auch aus der Hamburger Kunsthalle wurde ja vor aller Augen – während der Museumsnacht 2002 – eine Bronzeskulptur von Alberto Giacometti gestohlen. Wäre das heute noch möglich oder wurden die Sicherheitsvorkehrungen inzwischen verschärft?

Wir haben sie nicht verschärft, weil sie ausreichend waren. Und ausschließen kann man einen Diebstahl nie. Abgesehen davon kennen wir den Tathergang immer noch nicht genau. Man vermutet zwar, dass die Skulptur während der Öffnungszeiten gestohlen wurde. Zweifelsfrei erwiesen ist das aber noch nicht.

Die Giacometti-Diebe hatten ja eine hölzerne Kopie in die Vitrine gestellt, sodass der Diebstahl nicht sofort bemerkt wurde. Ist die Verwendung solcher Kopien inzwischen Usus?

Soweit ich weiß, war das in jüngerer Zeit der erste Fall. Im Mittelalter dagegen wurde öfter mit gut gemachten Kopien gearbeitet.

Der Giacometti war relativ handlich und leicht transportabel. Gibt es unter Kunsträubern Gattungen oder Größen, die besonders gut gehen? Sind Miniaturen beliebter als riesige Barock-Gemälde?

Das habe ich im Detail noch nicht ausgewertet.

Ist es richtig dass die Magazine der Museen eine Schwachstelle sind, weil man deren Bestände gar nicht ständig kontrollieren kann? Würde man entsprechende Verluste in der Hamburger Kunsthalle überhaupt bemerken?

Wir prüfen diese Bestände über eine Inventur nach dem Zufallsprinzip. Die nehmen wir teils selbst vor; die zweite Säule sind die auswärtigen Leihanfragen, die uns zur ständigen Durchsicht unserer Bestände zwingen. Was Inventur und Überwachung betrifft, sind wir also recht gut aufgestellt. Außerdem haben wir ein EDV-gestütztes Museumsdokumentationssystem, in dem jede Veränderung, jedes Werkes exakt dokumentiert wird.

Kürzlich wurde die erste Renovierungsetappe der Hamburger Kunsthalle abgeschlossen. Ging es da auch um die Verbesserung der Sicherheitsstandards?

Was die Außenhaut-Sicherung angeht, ja. Denn auch solche Standards – etwa die Qualität des Glases – entwickeln sich weiter. Das Top-Glas von heute ist eben nicht nur einbruchssicher, sondern auch wärmedämmend, isolierend und so weiter.

Seit 1991 existiert das Art-Loss-Register, die größte internationale Datenbank verlorener und gestohlener Kunstwerke. Wenn die so gut funktioniert: Warum werden berühmte Kunstwerke überhaupt noch gestohlen? Die dürften doch gar nicht veräußerbar sein.

Das kann ich so nicht beurteilen. Das Art-Loss-Register ist ja ein Informationssystem, das weltweit operiert. Jeder Galerist, der ein Werk angeboten bekommt, kann dort also nachsehen, ob es als gestohlen gemeldet ist. Das ist der erste Schritt, bevor man tiefer in die Geschichte des Werkes einsteigt. So gesehen – als Informations und Orientierungssystem – ist das Art-Loss-Register sehr hilfreich. Außerdem dient es natürlich der Abschreckung.

Gibt es schwarze Schafe unter den Galeristen und Auktionshäusern, die auch ein solches Register nicht schreckt?

Mir sind keine bekannt.

Können Sie sagen, wie lange es im Schnitt dauert, bis ein berühmtes Kunstwerk wieder auftaucht, nachdem es gestohlen wurde? Sie selbst gelten ja als sehr gelassen in diesen Fragen...

Das lässt sich nicht allgemein sagen. Das kann sich manchmal über Generationen hinziehen. Es kann aber auch, wie bei den Osloer Munch-Bildern, relativ schnell gehen. Außerdem hat man generell die Erfahrung gemacht, dass die Werke irgendwann immer wieder auftauchen, sofern sie nicht vernichtet worden sind.

Was tun die Räuber, so sie diese nicht veräußern, mit den Kunstwerken? Gibt es bizarre Beispiele?

Mir sind keine bizarren Beispiele bekannt.

Es soll ja Menschen geben, die wertvolle Gemälde unter dem Bett verstecken...

So etwas ist noch nie zweifelsfrei bewiesen worden. Es gab wohl vor Jahren einen manischen Kunsträuber in Straßburg, der die Werke bei sich zuhause hortete. Aber das ist ein Einzelfall. Das ist ja die Sorte von Geschichten, die Journalisten gern ausschmücken, ohne dass man genau wüsste, wie groß der Wahrheitsgehalt eigentlich ist.

Wenn Bilder wieder auftauchen, kann das – wie bei Caspar David Friedrichs „Nebelschwaden“ aus der Hamburger Kunsthalle – ziemlich teuer werden: Die Versicherungssumme muss zurückgezahlt werden, außerdem fällt Lösegeld an. Wäre es Ihnen lieber gewesen, das Gemälde wäre verschollen geblieben?

Nein. Denn solch ein Bild ist – anders als ein Porsche oder ein beliebig oft am Markt existierender Gegenstand – einzigartig und nicht in Geld zu bezahlen.

Wenn man die Kunsträuber-Szene insgesamt betrachtet: Welches ist eigentlich die beliebteste Diebstahls-Methode? Der Einbruch bei Nacht? Der Einstieg durch den Schornstein? Oder was sonst?

Ich führe keine Statistik darüber. Man kann bestimmte Vorkehrungen treffen. Hierzu zählen die permanente Inventur, gut ausgebildetes Personal, gut eingerichtete Technik und eine sichere Außenhaut. Das ist das, was ein Museum beitragen kann – aber ein Restrisiko bleibt immer.

Gibt es bestimmte Kategorien von Kunsträubern? So etwas wie die Hehler, die Verrückten, die Spieler … ?

Darüber kann ich philosophieren, darüber kann ich fabulieren – aber beantworten kann diese Frage nicht.

Dann philosophieren Sie doch mal...

Nein. Auch das tue ich nicht.