VON KINDERN LERNT MAN, WAS RICHTIG IST: ALLES WOLLEN, LAUT SEIN, FRECH SEIN, NIE DIE KLAPPE HALTEN, SICH STETS TOTALITÄR VERHALTEN
: „Maßhalten“, my ass

Maik Söhler

Manchmal haben Kinderlose einfach den besseren Blick auf alles, was in dieser Gesellschaft (und anderen) bei der Debatte um Kinder falsch läuft. Der Kollege Deniz Yücel schrieb an dieser Stelle: „Die Kinder, die Kinder, die armen kleinen Kinder. Wer irgendeine Schikane im Sinn hat, ist gut beraten, sie mit dem Wohl von Kindern zu rechtfertigen“. Da hat er recht.

Mit seinem Kolumnenschluss verhält es sich anders: „Besser: Man hält Maß. Der Kinder willen, logisch.“ Da liegt Yücel falsch, umso falscher sogar, als er doch zuvor so schön herausgearbeitet hat, wie restriktiv, patriarchal und verlogen die Kinder- und Gesellschaftsdebatte nun mal läuft, wie also Kinder für etwas herhalten müssen, was Verbotsfetischisten von rechts bis links in ihren kindischen Allmachtsfantasien so umtreibt.

„Man hält Maß“ – das ist es ja gerade, was alle von Eltern erwarten. Alle bedeutet: Politik und Wirtschaft, Kultur und Freizeitindustrie, Schulen und Kindergärten, Kinderlose sowieso und sogar die Kinder selbst.

Wir Eltern sollen dafür sorgen, dass – um in der Reihenfolge der Aufzählung zu bleiben – der Politik nie das Stimmvieh ausgeht, der Wirtschaft stets willige Mägde und Knechte zur Verfügung stehen, der Kultur nicht die Helene-Fischer-Fans abhanden kommen, die sich dann auch noch an Orten der Freizeitindustrie („JOLOs Kinderwelt“, LEGOLAND Discovery Centre, sonstige in VERSALIEN gehypte Abzockhöllen) dumm und dämlich bezahlen, um hernach als Teil der Bürgergesellschaft am Samstagmorgen freiwillig ein Klassenzimmer zu streichen oder in der Kita den Essensraum neu zu verkabeln, woraufhin sie sich mit ihren Kindern leise und gesittet in der Öffentlichkeit bewegen, um Kinderlose, die erst mittags aufstehen, bloß nicht beim Frühstücksbier zu stören und schließlich, weil sich unsere Kinder irgendwann nach dem Ordnungsruf sehnen, wenn es ihnen plötzlich zu anstrengend wird, immer anstrengend zu sein.

So viel zum „Maßhalten“. „Maßhalten“, my ass. Keinen Fußbreit dem „Maßhalten“. Von Kindern lernt man, dass das genaue Gegenteil richtig ist. Alles wollen, laut sein, frech sein, nie die Klappe halten, sich stets totalitär verhalten, nach zwei Schokopudding mit extra Sahne noch ein Eis fordern, andere für sich arbeiten lassen, grölen, nerven, lügen, betrügen und schmarotzen, den Anforderungen von Staat, Kapital und Kultur einen Popel ans Etikett schmieren, einen Telefonstreich bei der Bürgergesellschaft machen, über ihre guten Ratschläge laut lachen und spotten. Und dabei hampeln sie dem Yücel auch noch die Kippe aus dem Mundwinkel.

Dienstag Deniz Yücel Besser

Mittwoch Martin Reichert Erwachsen

Donnerstag Ambros Waibel Blicke

Freitag Meike Laaff Nullen und Einsen

Montag Barbara Dribbusch Später

„Maßhalten“, schallt es uns aus der Kinderlosen-Spießerhölle entgegen, aber das hören wir gar nicht, weil die Kinder zum Glück lauter sind. „Müssen die Kinder hier denn …“ wird der erste Teil einer genervten Frage laut, deren zweiter vom colainduzierten Dazwischengequatsche der Tochter rabiat unterbunden wird. „Wir haben auch ein Recht auf …“ beginnt ein Satz, den der Sohn mit einer Furzgeräuschfanfare kurzerhand abwürgt. „Maßhalten“?

Besser: Mund halten!