Und es hat Bumm gemacht

Der chinesische Künstler Cai Guo-Qiang ist einer der größten Knaller der internationalen Kunstszene – pyrotechnische Effekte und Explosionengehören zu seinem Werk. Effekthascherei? Schockeffekt? Seine erste deutsche Einzelpräsentation ist nun in der Deutschen Guggenheim Berlin zu sehen

Woher aber rührt diese Einfalt, mit der er Schrecken und Künstlichkeit aufeinander bezieht?

VON HARALD FRICKE

Wie man auf Wirkung setzt, weiß Cai Guo-Qiang. Für das Video „Illusion II“ in seiner Ausstellung „Head On“ bei Deutsche Guggenheim hat er von den Filmstudios Babelsberg eine Hausattrappe bauen und auf ein Freigelände neben der Ruine des Anhalter Bahnhofs stellen lassen. Dort flog die mit Schwarzpulver gespickte Bude auseinander, während Feuerwerkskaskaden den Himmel über Berlin erleuchteten und Kameras das Geschehen festhielten. Kaum drei Minuten dauert es nun, bis im Film das Gebäude in Schutt und Asche liegt – Mahnmal für die Kriegsszenarien weltweit oder doch eher triumphales Pyro-Spektakel? Cai hält sich beide Optionen offen: Das Ergebnis sieht bezaubernd aus und hat doch den Schockeffekt blindwütiger Zerstörung, der eine Ahnung von Krieg und Vertreibung gibt.

Diese Kombination aus poetischer Schönsinnigkeit und symbolischem Schaukämpfen findet sich häufig in den Arbeiten des chinesischen Künstlers, der 1995 nach New York zog und seither ein gern gesehener Gast auf unzähligen Biennalen ist. Im Frühjahr noch ließ er schwarze Explosionswolken über dem Metropolitan Museum in Manhattan aufsteigen, als eine flüchtige Erinnerungsspur der Attentate des 11. September. Und in seiner ersten deutschen Einzelpräsentation sind nun auf einem „Vortex“ betitelten, wandgroßen Blatt Reispapier die Umrisse von Tieren wie sonnenfleckige Kadaver mit Schießpulver eingebrannt. Es ist denn auch kein Ungeschick, dass Dan Cameron im Katalog gleich im ersten Absatz auf Hiroschima und Nagasaki zu sprechen kommt. Offenbar war der atomare Ausnahmefall für den amerikanischen Kurator gerade groß genug, um eine Verbindung zu Cais explosiven Happenings herzustellen.

Woher aber rührt diese Einfalt, mit der konkreter Schrecken und stilisierte Künstlichkeit aufeinander bezogen werden? Geht es in der Kunst nicht auch ein paar Nummern unterhalb der Katastrophe? Oder gilt es, den heiligen Ernst der künstlerischen Sache immer neu kontextuell festzuklopfen und, schlimmer noch, moralisch zu legitimieren – kein ästhetischer Genuss, dem nicht schon das Desaströse des menschlichen Handelns eingebrannt wäre?

Dabei ist für Cai tatsächlich oft alles nur ein Spiel mit Zeichen. „Illusion II“ soll laut eigenem Bekunden eine Meditation über „Zerstörung, Ruhm und Heldentum“ sein, hat aber in der schnittreichen Montage aus verschiedenen Kamerablickwinkeln auch etwas von Mid-Budget-Action-Kino. Ganz ähnlich geht Cai bei seiner überdimensionalen Installation „Head On“ vor, für die 99 ausgestopfte Wölfe an Schnüre gehängt einen dynamischen Bogen innerhalb der Guggenheim-Halle formen und am hinteren Ende des Raumes auf eine gläserne Mauer zuspringen, von der sie allerdings hilflos abprallen. Wer will, kann das Schauspiel als Kommentar auf die deutsche Geschichte deuten; für alle anderen bleibt es ein surreales Diorama, den Vitrinen im Naturkundemuseum verwandt.

Genauer will sich Cai nicht festlegen. Entsprechend rätselhaft wirkt die Mischung der Symbole: War der antifaschistische Schutzwall nicht Zeugnis des Kalten Krieges? Und wofür stehen historisch die Wölfe – wenn nicht für das letzte Nazi-Aufgebot? Offenbar ist Cai bei seiner Beschäftigung mit der Vergangenheit in Berlin nicht über vage Assoziationen hinausgekommen. Ohne historische Tiefenschärfe und Zuordbarkeit ist der Aufmarsch der Wölfe aber bloß gefälliges Puppentheater – so wie die Mauer aus Glas einem minimalistischen Baukasten entstammen könnte, doch wenig über die widrigen Nachkriegsverhältnisse besagt.

Dieses konzeptuelle Defizit wird durch die monumentale Größe noch verstärkt: Aus der Nähe betrachtet bleibt das bühnenbildhafte Setting merkwürdig starr, und die Wölfe sehen eher handzahm und von ihrer Physiognomie her wie wilde Katzen aus. Es mag daran liegen, dass sie für Cai aus gefärbtem und geglättetem Schaffell angefertigt wurden. Wer allerdings so sichtbar viel Geld in die Produktion investiert, darf sich keine Produktenttäuschung leisten.

Bis 15. 10., Deutsche Guggenheim, Berlin