Die Kritik an TTIP wächst – auch in Bayern

LIBERALISIERUNG II Das geplante Abkommen zum Freihandel stößt auch bei der CSU auf Skepsis

„Die Transparenzoffensive ist bloß eine Beruhigungspille“

ROLAND SÜSS, ATTAC

BRÜSSEL taz | Erst die Grünen, dann Attac, nun sogar die CSU: Eine ungewöhnliche Koalition nimmt das umstrittene Freihandelsabkommen TTIP in die Zange. Kurz vor dem Start der vierten Verhandlungsrunde zwischen der EU und den USA am Montag in Brüssel wächst der Widerstand.

Dabei soll diesmal alles besser und vor allem transparenter werden: Mehr denn je sucht die EU-Kommission, die die Verhandlungen für Europa führt, die Öffentlichkeit. Am Mittwoch soll es in Brüssel sogar erstmals ein öffentliches Treffen geben, bei dem die EU-Behörde mit Unternehmen, Gewerkschaften, Umweltverbänden und NGOs diskutieren will. Zum ersten Mal wird Transparenz wirklich großgeschrieben.

Handelskommissar Karel De Gucht hat zudem angekündigt, die besonders umstrittenen Verhandlungen über ein Investitionsschutzabkommen auszusetzen. Auch dazu will er erst die Meinung der Zivilgesellschaft einholen. Bei europäischen Standards für Lebensmittel, Verbraucher- oder Umweltschutz werde er keine Zugeständnisse machen, so De Gucht. Das EU-Verbot für Hormonfleisch stehe.

Doch es hilft alles nichts – der Widerstand gegen TTIP wird immer größer. Bereits am Freitag hatten die drei grünen Europaabgeordneten Sven Giegold, Rebecca Harms und Ska Keller die vertraulichen Leitlinien des EU-Ministerrats für die Verhandlungen mit den USA ins Internet gestellt. Auf der „Wikileaks“ nachempfundenen Seite „TTIP-Leak.EU“ dokumentieren die drei Spitzenkandidaten für die Europawahl die Positionen der EU-Mitgliedstaaten zu so heiklen Themen wie Investitionsschutz, Daseinsvorsorge oder Landwirtschaft.

Und siehe da: Trotz der Zusicherung der EU-Kommission könnte das Abkommen den Weg für Chlorhähnchen, Gentomaten oder Klonfleisch frei machen. Denn laut TTIP-Leak sollen „die gesundheitspolizeilichen und pflanzenschutzrechtlichen Maßnahmen beider Seiten auf wissenschaftlichen Grundsätzen und internationalen Normen beruhen“. Das könnte europäische Schutzvorschriften künftig ins Wanken bringen, fürchten die Grünen.

Anders als von Ländern wie Frankreich gefordert, wird auch nicht der komplette Kultursektor von der Liberalisierung ausgeklammert – nur das Kino scheint sicher. Und selbst öffentliche Dienstleistungen könnten ins Visier der Freihändler und Privatisierer geraten. Es sollen nämlich nur jene Dienstleistungen ausgenommen werden, die in „hoheitlicher Gewalt“ erbracht werden, also „weder zu kommerziellen Zwecken noch im Wettbewerb mit [privaten] Dienstleistungserbringern“. Die Stadtwerke, Bahn, Post oder die staatliche Kranken- und Rentenversicherung könnten also privatisiert werden, fürchten die Grünen.

Alarm schlägt auch das globalisierungskritische Netzwerk Attac. Die Transparenzoffensive der Europäischen Kommission sei eine „bloße Beruhigungspille“, sagte Roland Süß vom bundesweiten Attac-Koordinierungskreis. Das Abkommen müsse komplett vom Tisch genommen werden.

Sogar in der CSU macht sich Unmut breit. „Wenn es je einen Bereich gegeben hat, in dem eine Volksabstimmung nötig ist, dann hier“, sagte der bayerische Finanzminister Markus Söder (CSU) dem Münchner Merkur vom Samstag. EU-Kommission und Europaparlament müssten nach der Europawahl Ende Mai ein solches Instrument einführen. Ihn treibe die Sorge um, „dass man mit dem Abkommen die Gesamtakzeptanz für Europa gefährdet“. ERIC BONSE