PUBERTÄT IN BRANDENBURG ODER NULL BOCK AUF ANGESAGTE AUSGEHADRESSEN
: Ich will die große Portion

VON JURI STERNBURG

„Optimismus ist nur ein Mangel an Information“, sagte Heiner Müller einst. Und ich gab diese Weisheit nun an den Besuch aus der Schweiz weiter. Natürlich konnten wir verstehen, dass er gern die Bar 25 sehen würde, bevor sie mal wieder – für immer – ihre Pforten schließt. Aber doch nicht an einem der offiziell letzten Tage, wo alle kommen, die es irgendwie doch nicht geschafft haben, den Laden zu sehen.

Gegen den Optimismus eines Schweizers anzukommen ist in etwa so kompliziert, wie einem Schimpansen die Leichtigkeit des Seins auszureden. Aber wie erklärt man dem partywütigen Besuch, das einem angesagte Schuppen und die sie bevölkernden Ballerinas und Leggins tragenden Mädchen und Jungs in goldenen Jacken zuwider geworden sind? Wäre es nicht viel angebrachter, mal was Bodenständiges zu machen? Während unser Gast in die Bar 25 fuhr, versprach ich den anderen, mir etwas zu überlegen, was meinen Bedürfnissen besser gerecht werden würde.

„I feel hardcore!“, dröhnt es wenig später aus den Boxen unseres heruntergewirtschafteten Dreitürers, und verdammte Scheiße, I feel wirklich hardcore. Denn wir fahren zum Konzert von Scooter, der besten schlechten Technokapelle, die es je geben wird, und erfüllen mir damit einen Kindheitstraum. So muss sich Pubertät in Brandenburg anfühlen. So ganz überzeugt sind meine Begleiter nicht. Sie hatten die Ansicht, dass ich das Ganze nur als großen Spaß sehe. Als Partygag, aus kultureller Überheblichkeit heraus oder auch als „So Kacke, das ist schon wieder cool“-Attitüde.

Aber nein! Ich habe nicht vor, naserümpfend in der letzten Reihe zu stehen, elitär Rauch durch die Nüstern pressend, oder ein verstohlenes „Hyper, hyper!“ wagend. Ich will die große Portion. Grölend in der Menge, verbrüdert mit den Jungs in den neongelben Bauarbeiterwesten, zwei Bier in jeder Hand, den feuchten Atem meiner – idealerweise – Hinterfrau im Nacken, würde ich der Pyroshow auf der Bühne und Frontmann H. P. Baxxter ganz nah sein. Bevor die Technotrash-Pioniere allerdings für Stimmung sorgen, betritt eine Vorband die Bühne. Sie nennt sich Keule und kommt einem irgendwie bekannt vor. Das große Rätselraten beginnt.

Die Vorband heißt Keule

Dank dieser tragbaren Telefone, die man jetzt haben muss und die alles wissen oder herausfinden können, erfahren auch wir relativ schnell, wer die beiden Gitarre klampfenden Spaßrocker sind. Den einen, Sera Finale, kennt man als Berliner Rapper, der andere heißt angeblich Klaus und war mal bei Band ohne Namen, die mit so großartigen Trashsongs wie „I wanna be a girl, just for a day“ in den Neunzigerjahren Millionen verdienten.

Gekonnt niveaulos heizen Keule die Stimmung des freiwillig Golf GTI fahrenden Publikums an und überzeugen mit Textzeilen wie: „Ich hab dich gestern Nacht auf Youporn gesehn/ da ich dich kenne, war’s mir unangenehm“. Also bitte in den Laden gehen und Keule kaufen. Sie sorgten für einen schönen Abend. Weder ein optimistischer Schweizer noch das ein oder andere Mädchen in Ballerinas oder Leggins und nicht mal ein Typ mit goldener Jacke hätten die bodenständige Magie der Nacht ins Wanken gebracht. Danke, Berlin, für deine einfältige Vielfalt.