Ein klarer Fall von Amtsanmaßung

STAATSGALERIE Seit zwei Wochen residiert die Staatsgalerie Prenzlauer Berg an der grauen Greifswalder Straße. Kleine Konzerte, Salons und Ausstellungen sollen hier nicht nur zeigen, was die alte Ost-Boheme heute so macht

Im Rotwelschen ist Galerie das Wort für eine Räuberbande, sagt Henryk Gericke

VON ULRICH GUTMAIR

Der Künstler justiert gerade seine Bilder im Schaufenster des Ladens, der eine Weile leer stand. Da kommt eine alte Frau vorbei und fragt: „Wat kommt hier rin?“ – „Ne Galerie.“ – „Noch eene!“ Nach zehn Metern dreht sich die Alte noch mal um: „Na ja, besser als noch ’ne Späte.“

Die Greifswalder Straße ist „die letzte dreckige Tangente des Prenzlauer Bergs“, sagt Henryk Gericke, der hier vor zwei Wochen die Staatsgalerie Prenzlauer Berg eröffnet hat. Für „Kaputtness“ interessiert sich Gericke aber nicht. Beim Namen seiner Galerie handle es sich um „einen klaren Fall von Amtsanmaßung“. Im Mission Statement seines Unternehmens schreibt Gericke: „Der Name fügt sich in die Reihe von Überhöhungen, wie sie derzeit en vogue sind im ‚Prenzlberg‘. Da läutet es ‚Kolle Belle‘, da tönt es ‚Immanuelkirch Carré‘, da dröhnt es ‚Prenzlbogen‘ oder säuselt es ‚Winsgärten‘. Eine solch stolze Gemeinde braucht einen Dom. Oder, reicht der Glaube nicht, eine Staatsgalerie.“ So steht nun „Staatsgalerie Prenzlauer Berg“ über dem Laden. Gesetzt in klassischen Lettern mit Serifen, wie sie sonst gern von Beerdigungsunternehmen und Immobilienmaklern genutzt werden, um besonders seriös auszusehen.

In den Schaufenstern hängen zwei Gemälde von Ronald Lippok. Gemeinsam mit seinem Künstlerkollegen Jens Becker bestreitet er derzeit die Eröffnungsausstellung. Das eine Bild zeigt einen Längsschnitt durch einen Kopf. Das Motiv fand Lippok auf einem Stich in einem alten kabbalistischen Buch. Es ist eine Gebrauchsanleitung, die zeigt, wie man die Zunge an den Gaumen zu legen hat, um das heilige Wort, das auf Hebräisch auf dem Bild zu lesen ist, richtig auszusprechen.

Fast wie ein Kommentar dazu steht unter Lippoks Bild eine Arbeit von Jens Becker. Es ist ein Plattenspieler ganz in Weiß, auf dem sich ein runder Spiegel dreht. Alle anderen Arbeiten Beckers benutzen verspiegelte Gefäße, die aussehen wie alte elektrische Röhren. Es handelt sich dabei um Inlays von Thermoskannen. In einer Arbeit dreht sich ein Inlay um seine eigene Achse. Der Tonabnehmer eines Plattenspielers ruht auf ihm und verwandelt Unebenheiten auf seiner Oberfläche in stetig wiederkehrende Geräusche.

Es hängen weitere Gemälde aus der Hand Lippoks in der Galerie, die allesamt auf alten Illustrationen basieren, die sich mit Naturphänomenen und Experimenten befassen. Die Übergänge zwischen Magie, Alchemie und Naturwissenschaft interessieren Lippok. Dazwischen findet sich aber auch eine schwarze Form, von der Lippok eines Nachts träumte. In ihrem Inneren spielten sich wichtige Dinge ab, entzogen sich aber seinem Zugriff.

Spätestens hier verrät sich das Faible für surrealistische Strategien, das Ronald Lippok und Henryk Gericke schon lange verbindet. Silvester 1983 lernten sie sich kennen, beide waren damals in der Ost-Berliner Punkszene aktiv. Dort herrschte eine Vorliebe fürs Expressionistische, während Lippok und Gericke sich eher für Dada und Surrealismus interessierten. Letzterer galt in der DDR als anarchistisch, kleinbürgerlich und scheinrevolutionär. Ein Grund mehr, „ein der surrealistischen Sache verpflichtetes Schriftstück“ herauszugeben. Lippok zeichnete und malte also, Gericke schrieb. Ihre Zeitschrift „Caligo“ erschien in einer Auflage von 30 Exemplaren und wurde unter abenteuerlichen Umständen gedruckt, die Gericke ins Visier der Staatssicherheit rücken ließ. Die ungenehmigte Vervielfältigung von Schriftstücken war in der DDR verboten und höchst verdächtig.

„Ich war ganz erstaunt, als Henryk sagte, er macht ’ne Galerie, weil ich das mutig fand“, sagt Ronald Lippok heute über seinen alten Weggefährten. Eine Anbindung der Galerie an den Kunstbetrieb ist noch nicht gegeben. Die Künstler der Galerie seien auch nicht gerade relevant am Markt, sagt Ronald Lippok nüchtern, der selbst als bildender Künstler vollkommen unbekannt ist. Er hat zwar Malerei studiert, es aber mit den Bands Tarwater und To Rococo Rot zu Bekanntheit gebracht. Die Bilder, die nun zu sehen sind, hat er im Sommer zu diesem Zweck gemalt.

Gericke wiederum hat sich mit Ausstellungen über Punk und Underground-Mode in der DDR einen Namen gemacht, die rein dokumentarisch waren. Nun will er zeigen, was die Leute aus dem Underground heute machen. Trotzdem soll die Staatsgalerie sich nicht als „die ständige Vertretung einer gewesenen Szene“ gerieren. Viele der Künstler, die im kommenden Jahr ausgestellt werden, stammen aus ganz anderen Weltgegenden als Ost-Berlin.

Im Rotwelschen ist Galerie das Wort für eine Räuberbande, sagt Henryk Gericke. Er will ein Kulturhaus machen, „das offen ist für Lesungen, kleine Konzerte, Salons und Séancen“. Gleich nebenan residiert die Neu! Bar, die sich der Pflege des Krautrockerbes verschrieben hat. Zu ihr pflegt man freundliche Beziehungen.