Polen müssen jetzt Patriotismus pauken

Mit Schuljahresbeginn verordnet der Erziehungsminister Landesgeschichte. Der internationale Kontext ist Nebensache

Neuerdings entscheidet auch die Betragensnote über die Versetzung

WARSCHAU taz ■ Nachdem Polens Premier Jarosław Kaczyński am Wochenende die deutsche Vergangenheitsbewältigung kritisiert hat, will die Regierung mit neuen patriotischen Initiativen offenbar die eigene Geschichtsdeutung weiter zementieren. Zum gestrigen Schuljahresbeginn wartete der Erziehungsminister und Chef der ultrakatholischen Polnischen Familienliga (LPR), Roman Giertych, mit einem Zückerchen auf: Ein Teil der im Sommer durchgefallenen Abiturienten wird amnestiert. Fremdsprachen und Mathematik sollen künftig bei den Reifeprüfungen aufgewertet werden.

Um allerdings so weit zu kommen, müssen Polens Schüler ab diesem Herbst kräftig nationale Mythen pauken, und sie dürfen ja nicht aufmüpfig sein. Neuerdings entscheidet nämlich auch die Betragensnote über die Versetzung. Erziehungsminister Giertych will so der Gewalt auf Schulhöfen und in Klassenzimmern Einhalt gebieten. Dazu werden in den Schulen Überwachungskameras installiert. „Ohne gute Erziehung gibt es keine gute Bildung“, begründete Giertych am Wochenende im Danzig.

Der Erziehungsminister besuchte dort die frühere „Leninwerft“ und das Denkmal auf der Westerplatte, wo Deutschland mit dem Beschuss einer polnischen Einheit vor 67 Jahren den Zweiten Weltkrieg begonnen hatte. Beide Orte sollen in Giertychs Programm zur Förderung des Patriotismus an den Schulen eine wichtige Rolle spielen.

Anders als von Giertych vor den Sommerferien angekündigt, wird Patriotismus nicht als eigenes Fach eingeführt, sondern im Rahmen der Landesgeschichte. Diese wurde vom Fach „Weltgeschichte“ abgetrennt. Eine Konzentration auf Polen ohne Vermittlung der weltgeschichtlichen Zusammenhänge fördere den Patriotismus, glaubt man im Bildungsministerium.

Im Rahmen dieses Unterrichts sollen, so will es Giertych, auch Museen und historische Baudenkmäler im Land besucht werden. Neben der Königsburg Wawel in Krakau, der “Danziger Werft“ mitsamt „Solidarność-Museum“ gehört dazu auch das „Museum des Warschauer Aufstands“. Gegen Patriotismus hat der 17-jährige Gymnasiast Micha nichts einzuwenden. „Ich bin aber dagegen, wenn er von Giertych kommt“, sagt er, „denn unser Erziehungsminister ist ein Fanatiker.“ Der gleichaltrige Tomasz befürchtet, dass Giertych in der Schule künftig die Weltsicht der rechtsradikalen LPR-Jugendorganisation „Młodzież Wschechpolska“ (Allpolnische Jugend) propagieren wolle. Bereits im Kindergarten lernen die Kinder in Polen heute die Nationalhymne, das polnische Wappen und die Flagge. Doch dies genügt der rechtspopulistischen Regierung unter Jarosław Kaczyński offenbar nicht. „Der Patriotismus steckt in einer Krise“, klagte kürzlich der rechtskonservative Sejm-Abgeordnete Jarosław Zieliński. „Patriotismus- Erziehung kann man aber nicht in eine Schulstunde verbannen“, meint der Parteigänger der Kaczyński-Zwillinge.

Neue Wege sucht deshalb die Armee: Ab Herbst sollen „Erziehungsoffiziere“ eingesetzt werden, die die Freizeit der Soldaten in patriotischem Sinne gestalten. Vorgesehen seien obligatorische Gesprächskreise, aber auch Theaterbesuche, kündigte Vizeverteidigungsminister Aleksander Szczygło an. Das Heer will sich dabei auf ein Regierungsprogramm stützen, das die Förderung der Heimatliebe mit modernen pädagogischen Mitteln vorsieht. PAUL FLÜCKIGER