Neue Datei, altes Raster

Die Anti-Terror-Datei sorgt nicht für mehr Sicherheit sondern für weniger Bürgerrechte: Datenschützer und Anwälte ziehen Parallelen zur Rasterfahndung gegen vermeintliche Schläfer

VON HOLGER PAULER

Der Beschluss der Innenministerkonferenz zum „Anti-Terror-Gesetz“ stößt auf Kritik. „Der Nutzen aus der Anti-Terror-Datei steht in keinem Verhältnis zu den Risiken“, sagte die Landesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit Nordrhein-Westfalen, Bettina Sokol zur taz. Die Vorfälle in London und die verhinderten Anschläge in NRW hätten gezeigt, dass „wir es mit einer neuen Generation von Tätern zu tun haben, die aus der Unauffälligkeit heraus agieren“. Eine wie Datei könne davor nicht schützen. „Wir müssen in einer freiheitlichen Gesellschaft mit dem Restrisiko leben.“

Geplant ist eine Zweiteilung der Anti-Terror-Datei. Grundsätzlich erfasst die Datei lediglich die Identität von Verdächtigen. Für einen engeren Personenkreis, bei dem die Sicherheitsbehörden ein größeres Sicherheitsrisiko vermuten, soll eine zweite, verdeckt geführte Datenbank geschaffen werden. In dieser Kartei sollen dann auch die Religionszugehörigkeit von Terrorverdächtigen vermerkt werden, sowie Angaben über Auslandreisen oder Waffenbesitz. Der Zugriff auf diese zweite Datenbank soll nur auf Antrag möglich sein. Zugriffsberechtigt sind folgende Behörden: Bundeskriminalamt, Bundespolizei, Bundesnachrichtendienst, Bundesamt für Verfassungsschutz, Militärischer Abschirmdienst, die Landeskriminalämter, die Landesämter für Verfassungsschutz und Staatsschutzdienststellen der Länderpolizeien. Welche Auswirkungen das geplante Gesetz auf die Landesbehörden hat, mochte beim nordrhein-westfälischen Innenministerium niemand einschätzen. Innenminister Ingo Wolf (FDP) stimmte dem Paket jedenfalls zu, lediglich bei der Ausweitung der Videoüberwachung enthielt er sich.

„Ich habe große Bedenken, ob die Trennung zwischen Polizei und Geheimdiensten aufrecht erhalten werden kann“, sagte Sokol. Als Folge des Terrors der „Geheimen Staatspolizei“ (Gestapo) hatten die Alliierten den bundesdeutschen Nachrichtendiensten untersagt, polizeilich tätig zu werden. „Diese Trennung wird tendenziell aufgehoben“, sagte der Münsteraner Rechtsanwalt und Grünen-Politiker Wilhelm Achelpöhler. In der Anti-Terror-Datei werden keine gesicherten Fakten gespeichert, sondern nur Verdachtsangaben. Die Polizei dürfe aber nur handeln, wenn sie konkrete Anhaltspunkte hat, so Achelpöhler. „Die hierzu nötigen Daten können sie sich nun in der gemeinsamen Datei holen.“ Auch der Verfassungsschutz könne so seine Tätigkeit ausweiten. Das sei verfassungsrechtlich bedenklich, sagte Achelpöhler.

Erinnerungen an die bundesweite Rasterfahndung nach dem 11. September 2001 würden wach, so Achelpöhler. Der Anwalt verteidigte damals mehrere Verdächtige. Allein in Nordrhein-Westfalen wurden 5,2 Millionen Bürger überprüft. 32.000 Personen wurden schließlich im Raster der BKA-Datei „Schläfer“ gespeichert, weil sie die folgenden Kriterien erfüllten: 18-40 Jahre, männlich, (ehemaliger) Student, Muslim, legaler Aufenthalt, Herkunft aus einem von 26 Staaten mit überwiegend muslimischer Bevölkerung. Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe kritisierte die Rasterfahndung: Der präventive polizeiliche Datenvergleich sei nur dann mit dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung vereinbar, wenn eine „konkrete Gefahr“ für Rechtsgüter wie den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder für Leben, Leib oder Freiheit einer Person vorliege. Die Fahndung brachte übrigens keine Erfolge.

Auch durch die neue Datei könnten unbeteiligte Kontaktpersonen in den Verdacht des Terrorismus geraten, befürchtet Datenschützerin Sokol. In diesem Moment hätten die wirklichen Terroristen ihr Ziel erreicht: „Den Abbau von Grundrechten und die damit verbundene Abschaffung der Demokratie“.