Fare well Far Out

Stillstand am Kurfürstendamm: Eine kleine tanzerprobte Gemeinde verliert ihre Dienstags-Heimat in der Disco

Ein Zettel hängt an der Tür, die Disco ist geschlossen. „Wir bemühen uns um eine Wiederaufnahme des Betriebs“ steht an der Tür des Far Out, das der Schaubühne gegenüberliegt, seit den ersten Septembertagen. In der Woche zuvor, als sich die Pleite der in den Siebzigerjahren von Baghwans gegründeten Disco schon rumgesprochen hatte, verteilten vor dem Eingang Konkurrenten ihre Flyer. Innen, auf der großen und hellen Tanzfläche, war es voll wie schon lange nicht mehr. Die Tresenkräfte erzählten von der Hoffnung, einen neuen Betreiber zu finden.

E. ist jetzt etwas geknickt. Das war sein Platz zum Tanzen, vielleicht seit zwanzig Jahren schon. Er hat mich manchmal mitgenommen zur After-Work-Party am Dienstag, 19 bis 20 Uhr freier Eintritt. Vor Mitternacht war er wieder zu Hause, gut für jemand, der jeden Morgen halb sechs aufsteht.

Er kannte so viele dort, Verabredungen waren nicht notwendig. Er wusste zum Beispiel, zu welcher TU-Sportgruppe die beiden gehörten, die da gerade mit minimalistischen Bewegungen auf die früh gut gefüllte Tanzfläche schlurften. Er wusste, wer kam, um sich vom häuslichen Pflegedienst zu erholen, oder selbst gerade eine schwere Operation hinter sich hatte. Wer unter Trennungsschmerz litt und oder sich gerade in eine neue Beziehung gestürzt hatte. Buchhalter, Polizistinnen, Senatsangestellte, Frührentner; so laut die Musik auch war, sie fanden den Faden der persönlichen Gespräche schnell. Und niemand zögerte lange, bevor er sich in Bewegung setzte und tanzte. Die Musik, einmal quer durch den Garten, war voller Wiedererkennungseffekte.

Ich war 1983, im Jahr meiner Ankunft in Berlin, ein paar Mal im Far Out tanzen gewesen, hatte mit niemandem geredet und damals genossen, dass spezielle Codes der Zugehörigkeit hier nicht notwendig waren. Als ich jetzt wieder hinkam, schien nichts sich verändert zu haben. Die Dienstagstänzer und ihre Disco sind zusammen alt geworden, nicht spurlos, nur unmerklich. Nichts Prickelndes und nichts Glamouröses hatte der Besuch mehr. Das hier glich mehr einem öffentlichen Wohnzimmer, altes Westberlin. Hier litt niemand unter dem Gefühl, etwas zu verpassen, wenn er kaum etwas von dem, was sich nach 1990 im Osten der Stadt veränderte und neu entstand, mitbekam.

Okay, auch im Far Out bestand das Leben nicht nur aus Dienstagen. Es gab, wie man auf der noch unveränderten Website sehen kann, Vollmondtrommeln und Tangoabende montags, Soul und Latin Pop am Donnerstag, Black Music und House samstags. Vermutlich waren die Schnittmengen unter den Besuchern klein. Die Dienstagsbesucher jedenfalls trafen sich eher zum Joggen im Grunewald wieder als beim Tanzen an einem anderen Tag.

KATRIN BETTINA MÜLLER