LESERINNENBRIEFE
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Es gibt keine Halbmenschen

■ betr.: „Von allen guten Geistern verlassen“, taz vom 7. 3. 14

Als Kinderbuchautorin kann ich nicht schweigen, wenn eine Büchner-Preisträgerin real lebende Kinder als „Halbmenschen“ bezeichnet. Ich möchte deshalb mit einem „Brief an die Kinder“ antworten: An alle Retortenkinder und künstlich Gezeugten, Samenbankentsprungene, an die Kinder gleichgeschlechtlicher und verschieden geschlechtlicher Eltern, an Kinder von Leihmüttern und Ersatzvätern – eben an alle Kinder auf der Welt: Willkommen hier auf diesem Planeten! Manchmal lieben euch eure Eltern, manchmal vielleicht auch nicht. Manchmal tun sie das Richtige für euch, manchmal auch nicht. Manche von euch sind in einem kuscheligen Bett entstanden, andere auf freier Wiese oder im Laborglas. Manche wurden lange geplant, andere sind per Zufall entstanden. Einige von euch wurden heiß ersehnt – andere mit einem bangen Gefühl erwartet.

Doch was auch immer eure biologischen, leiblichen oder auserwählten Eltern sich dabei gedacht haben, als sie euch zeugten: Es spielt jetzt keine Rolle mehr, denn jetzt seid ihr da. Das ist alles, was zählt! Ihr habt euren Platz auf dieser Welt, der gehört euch und den kann euch niemand streitig machen. Es spielt keine Rolle mehr, ob euer erster Platz ein Reagenzglas war oder ein Mutterschoß, ein Brutkasten oder ein Himmelbett. Es spielt keine Rolle mehr, ob es Mann und Frau oder Frau und Frau oder Mann und Mann waren, die euch auf die Welt verholfen haben. Ihr seid ein Teil dieser Welt, und ob eure Eltern und der Rest der Welt nun den Zufall, die Natur, die Evolution, die Schöpfung oder Gott dafür verantwortlich machen, dass es euch gibt, das spielt keine Rolle. Wichtig ist, dass es euch gibt.

Und solltet ihr irgendwann einmal Sätze von angeblich intelligenten, gebildeten Menschen lesen, die behaupten, es sei wichtig, auf welche Art man auf die Welt gekommen ist: Glaubt ihnen nicht. Nicht jeder, der gut mit Worten umgehen kann, sagt auch Gutes. Lasst euch nicht irritieren, nur weil sich jemand gewählt ausdrückt und wohlklingende Sätze formulieren kann: Vielleicht erzählt er oder sie mit all diesen wohlklingenden Sätzen doch einfach nur hanebüchenen Unsinn. Und eines kann ich euch versichern: Wie klug auch die Sätze rundherum aufgebaut sein mögen – wenn jemand behauptet, Kinder könnten „Halbmenschen“ sein – dann ist er oder sie einfach nur unglaublich dumm. Denn es gibt keine Halbmenschen oder Untermenschen, Zwischenmenschen oder Nebenmenschen, Hochmenschen oder Tiefmenschen. Es gibt einfach immer nur Menschen. Wenn sie noch kleiner sind und jünger, heißen sie Kinder. Aber immer, zu jeder Zeit und an jedem Ort, sind sie Menschen. Also: Es ist einfach nur schön, dass ihr da seid. SABINE LIPAN, Bielefeld

Vermurkste Rede

■ betr.: „Nach der Entschuldigung – das Unbehagen bleibt“,taz vom 8. 3. 14

Sibylle Lewitscharoff hat sich im ZDF-„Morgenmagazin“ keineswegs für ihre vermurkste Rede entschuldigt. Das wäre auch gar nicht möglich, denn man kann sich nicht selbst entschuldigen, sondern allenfalls um Entschuldigung oder um Verzeihung bitten. Das weiß Frau Lewitscharoff als erfahrene Autorin natürlich, und so hat sie dies im Fernsehinterview auch gar nicht erst versucht, sondern dort lediglich ihre unerträgliche Halbwesen-Aussage zurückgenommen, was eigentlich auch nicht geht. Allerdings ist das egal, denn da sie unerschütterlich an ihrer These (welche eigentlich?) festhält, hätte sie sich das gesamte verbale TV-Gemurkse sparen können. Noch besser wäre es jedoch gewesen, wenn sie sich in Dresden die gesamte Rede gespart hätte. Das war ihr jedoch nicht möglich, denn leider weiß Frau Lewitscharoff erst, was sie denkt, wenn sie hört, was sie sagt oder, da sie Autorin ist, liest, was sie schreibt.

Frau Lewitscharoff sagt im ZDF-„Morgenmagazin“ nahezu abschließend, dass sie sich selbst nicht über den Weg traut. Diese Aussage nimmt man ihr in diesen Tagen uneingeschränkt ab. Dem ist nichts hinzuzufügen. HEIKO MITTELSTAEDT, Hemsbach

Wer hier ist, bleibt hier!

■ betr.: „Abschiebung: Winke, winke“, taz vom 6. 3. 14

In der verlogenen Broschüre des Bayerischen Roten Kreuzes, für die Sie, Frau Sing, sich einsetzen, versuchen Sie, ein abscheuliches Verbrechen an Kindern zu verniedlichen, anstatt den bayerischen Staat für diese niederträchtige und durch nichts gerechtfertigte Traumatisierung frontal anzugreifen und die Betroffenen in jeder Hinsicht im Kampf um ihr wohlverdientes Bleiberecht zu unterstützen. Grundsatz Ihrer Arbeit muss sein: Wer hier ist, bleibt hier! Deportation oder scheinfreiwillige Ausreise traumatisiert ein Kind, das hier aufgewachsen ist, aufs Äußerste – wer das nicht glaubt, möge sich die NDR-Reportage „Abschiebung im Morgengrauen“ ansehen. Sie schicken ja auch keine jugendliche Zwangsprostituierte ins Bordell zurück, indem Sie dem armen Mädchen vorschwärmen, wie schön weich die Betten dort sind.

Ein Kind, dessen Familie das Herkunftsland mit gutem Grund verlassen hat und das gezwungen werden soll, dorthin und damit in eine vollkommen desolate Lage zurückzukehren, wird in ähnlicher Weise traumatisiert, als wenn es sexuell misshandelt würde. Während aber ein Kinderschänder, dessen Tun bekannt wird, sich berechtigterweise in seinem bisherigen Umfeld nicht mehr blicken lassen kann, ist in dieser Gesellschaft noch nicht hinreichend deutlich, dass jemand, der ein Kind deportiert (oder sich daran beteiligt) und es damit in ähnlich niederträchtiger Weise traumatisiert, genau die gleiche Abscheu und Verachtung eines jeden anständigen Menschen verdient hat. ERNST SOLDAN, Hausarzt und Flüchtlingshelfer