Manager der Veränderung

Das Opernpublikum ist par définition reaktionär!“ Für spitze Sätze dieser Art, die gegen die Mehrheit seines Metiers zielten, war Gerard Mortier berühmt. Über vierzig Jahre seiner unvergleichlichen Laufbahn, die in ihrer ruhelosen Ambition zur Veränderung mehr einer Mission als einer Karriere glich, hat der 1943 in Gent geborene Bäckersohn nie die Konfrontation gescheut.

Immer wieder hat Mortier die Traditionalisten verärgert, verhärtete Theaterstrukturen hinterfragt und als Intendant den einst so muffigen Opernbetrieb systematisch ausgelüftet. Dabei hat der studierte Jurist sich nie als verhinderter Bohemien oder Theaterzertrümmerer stilisiert, sondern mit Maßanzug und Seidenkrawatte eher wie ein Manager gewirkt.

Das Theaterhandwerk hat Mortier jedoch von der Pike auf gelernt: als Assistent des Flandern-Festivals und in den Betriebsbüros der Opern in Düsseldorf, Frankfurt, Hamburg und Paris. Die erste Leitung übernahm Mortier 1981 in Brüssel an der Monnaie-Oper, katapultierte das Haus mit mutigen Spielplänen, modernen Regieansätzen und dem Erschließen neuer Orte und Publikumsschichten an die internationale Spitze. Nach zehn Jahren ging er nach Salzburg, um das dort noch immer in Karajan-Haltung versteinerte Festival auf grandiose Weise zu aufregendem Leben zu erwecken, jährliche Skandale inklusive. Danach wagte er ästhetisch das vielleicht folgenreichste Experiment seiner Laufbahn, als er von 2002 bis 2004 die ersten Spielzeiten der Ruhrtriennale erfand. Die spartenübergreifende Form der „Kreationen“ machte er damit endgültig salonfähig, indem er die alten Industriehallen zu Orten einer nach allen Seiten hin offenen Ästhetik ausrief, die sich am sozialen Kontext ihrer Umgebung reibt. Nicht wirklich glücklich wurde er danach an der Pariser Oper und zuletzt am Teatro Real in Madrid, wo er noch Ende Januar seine letzte Uraufführung, „Brokeback Mountain“ von Charles Wuorinen, betreut hat.

In der Nacht zum Sonntag ist Mortier siebzigjährig seinem Krebsleiden erlegen. Gestern ist im Buchhandel sein Vermächtnis, „Dramaturgie einer Leidenschaft. Für ein Theater als Religion des Menschlichen“ erschienen. REGINE MÜLLER