Unsichtbare Nachbarn

Hamburg ist der Brückenkopf Chinas nach Europa. Noch leben Deutsche und Chinesen in getrennten Welten

AUS HAMBURG KLAUS IRLER

Samstags ist alles anders: Die Büros der Agenturen und Kanzleien im Hamburger Stadtteil Hammerbrook sind leer, genau wie die Theke im Imbiss Hongfu, wo sonst Chopsuey und Bamigoreng lagern – jene Gerichte, mit denen sich die Büromenschen unter der Woche auf die Schnelle verköstigen. Samstags ist alles anders: Dann wird im Hongfu ausnahmsweise mal wirklich chinesisch gekocht.

Gut die Hälfte der schlichten Tische sind besetzt, von Zeit zu Zeit kommt der Koch mit roten Plastiktabletts hinter der Theke hervor. Darauf liegen Bao, Teigtaschen mit Schweinefleischfüllung. Oder Klebreis, jene Spezialität, mit der die Chinesen im 15. Jahrhundert die chinesische Mauer gekittet haben und die heute als Delikatesse gilt. Bestellt wird hinten im angegliederten Supermarkt per Kreuz auf einem Zettel. Bao kosten 2,30 Euro, frisch gebackenes chinesisches Brot 80 Cent. „Es ist schwierig“, sagt Shiu Kau Yiu, der seit über zehn Jahren Lebensmittel importiert und das Hongfu gegründet hat. Schwierig, weil die rund 200 Gäste am Wochenende nur wenig Geld im Lokal ausgeben, zu wenig, wenn man bedenkt, dass die Arbeitskräfte in Deutschland teuer sind. Besser könne es nur werden, wenn der Imbiss auch über die Community hinaus bekannter würde, sprich: „Wenn mehr Deutsche kommen.“

4.016 Chinesen zählte das Statistische Landesamt 2004 in Hamburg, Kenner der Community schätzen die Zahl auf über 10.000. Und die Gemeinde wächst stetig – genau wie die Zahl der chinesischen Firmen. Laut Hamburger Handelskammer existieren 400 davon an der Elbe, dazu kommen 700 Firmen, die mit China handeln. „Hamburg ist damit der wichtigste Standort für chinesische Firmen in Europa“, sagt Jens Aßmann von der Handelskammer.

Drehscheibe Hafen

Attraktiv ist Hamburg vor allem wegen des Hafens und der Möglichkeit, von dort aus auch die Märkte in Mittel- und Osteuropa zu erreichen. Und wegen der bereits seit langem vorhandenen Infrastruktur der chinesischen Gemeinde: 1929 wurde der Chinesische Verein in Hamburg gegründet, es gibt die Chinesisch-Deutsche Gesellschaft und eine chinesische Schule, die vor allem Sprachkurse anbietet. Außerdem unterhält der Hotel- und Gaststättenverband die bundesweit einzige Fachabteilung für chinesische Gastronomie. Und das Universitätsklinikum Eppendorf wird im kommenden Jahr ein eigenes Zentrum für traditionelle chinesische Medizin eröffnen.

Hamburg sei der Brückenkopf Chinas in Europa, heißt es bei der Handelskammer. Davon zeugen die Riesenpötte von Reedereien wie China Shipping im Hafen – 2,2 Millionen Containern wurden 2005 im Handel mit China umgeschlagen. Oder der eine oder andere chinesische Name auf den Tafeln der Kanzleien, die sich auf internationales Handelsrecht und Steuerberatung für chinesische Firmen spezialisiert haben. Mehr nicht. Die Community lebt zurückgezogen, trifft sich sonntags ab und an in der Chinesischen Schule auf eine Partie Tischtennis, während die Kinder ihr Chinesisch auffrischen. Die Pflege des Netzwerks ist wichtig, und auch geschäftlich läuft viel über persönliche Kontakte. Aber „was im Business-Leben stattfindet, ist visuell nicht wahrnehmbar“, sagt Jens Aßmann. „Man trifft sich zu Geschäftsessen in speziellen Restaurants in denen es Gerichte gibt, die ein Europäer nicht bestellen würde. Oft sind das Restaurants, die von außen gar nicht beworben werden.“ Zudem sind nach einer Studie der Handelskammer fast drei Viertel der chinesischen Unternehmen im Handel aktiv, wobei nur 19 Prozent der Firmen den Großraum Hamburg als ihren zentralen Absatzmarkt sehen. Für sie ist die Stadt vor allem Drehscheibe.

Eine Chinatown wie in anderen Hafenstädten gibt es deshalb in Hamburg nicht – nicht mehr: Zwischen 1900 und 1944 entstanden in St. Pauli etliche chinesische Wäschereien, Unterkünfte und Gaststätten für die ankommenden und abreisenden Seeleute. Im Dritten Reich gerieten die Chinesen dann ins Visier der Nationalsozialisten. Am 13. Mai 1944, schreibt der Historiker Lars Amenda, führten Gestapo und Kriminalpolizei „die so genannte ‚Chinesenaktion‘ durch. Insgesamt 130 Chinesen wurden in St. Pauli gefangen genommen, die abstruse Begründung lautete, sie seien Spione der Feinde.“ Das Chinesenviertel hörte damit auf zu existieren. Erst ab 1972, mit der Aufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen China und der BRD, kehrten die Chinesen zurück.

Nun boomt der Handel, deutsche Unternehmen wie Karstadt lassen in China produzieren, umgekehrt exportieren chinesische Firmen Medizintechnik und Elektrogeräte nach Deutschland. Was aber kaum stattfindet, das ist das Geschäft im Kleinen, die Begegnung zwischen Deutschen und Chinesen. In Chinarestaurants zum Beispiel: „In den letzten Jahren ist das eher weniger geworden“, sagt Ming-Chu Yu, die Leiterin der Fachabteilung für chinesische Restaurants beim Hamburger Hotel- und Gaststättenverband. Oder die traditionelle chinesische Medizin (TCM), also Behandlungsmethoden wie Akupunktur oder Qigong: „Die Praxen boomen. Aber es sind Deutsche, die die Praxen machen. Ich kenne in Hamburg nur einen Chinesen, der Professor für TCM ist“, sagt Mathias Goyen, Sprecher der Uniklinik in Eppendorf. Auch die Anzahl der neu entstandenen chinesischen Lebensmittelläden, in denen man sich treffen könnte, bleibt im einstelligen Bereich.

Basisarbeit mit Pakchoi

„Es ist schwierig, mit den Deutschen zusammenzukommen“, sagt Binbin Duan, Manager des Hongfu. „Die Kulturen sind zu verschieden.“ Ein sprachliches Problem? „Nein, es ist die ganze Mentalität. In Deutschland ist alles unpersönlicher. Wenn ich hier den Parkplatz von jemandem besetze, bekomme ich Post von einer Behörde. In China würde man persönlich vorbeigehen und das regeln.“ Außerdem sei vieles von dem, was das Hongfu anbietet, noch unbekannt in Deutschland. Pakchoi etwa, eine ostasiatische Kohlsorte. Oder Esskastanien, in China Grundlage für Desserts. Binbin Duan will da Abhilfe schaffen. Beim Festival „China Time“, das die Stadt als Werbung für ihre „Chinakompetenz“ im September veranstaltet, will er zwischen Ausstellungen und Drachenbootrennen den Deutschen die Esskastanie nahe bringen. Duan ist optimistisch: „Mit der Frühlingsrolle hat es ja auch funktioniert.“