Ein flippiger Höllentrip

Manche Geschichten gehen unter die Haut. Selbst bei Puppen. In diesem Jahr hat die Fidena, das Figurentheater-Spektakel unter den Fittichen der RuhrTriennale, wieder volles Programm

VON PETER ORTMANN

Wenn im kleinen Guckkasten das Krokodil auftaucht und der Räuber grollt, wissen die meisten Kinder, dass es am Ende gut ausgeht. Manche Dinge lassen sich eben leichter und intensiver mit Objekten und Puppen transportieren. Auch für erwachsene Menschen war es immer ein Vorteil, das Unvorstellbare aus der schmalen Perspektive hinter einer Maske zu visualisieren. Und manche üblen Geschichten brauchen nicht einmal Wörter. Die niederländische Gruppe Hotel Modern wagt sich mit ihren Puppen nahe an das absolut Unvorstellbare heran – das Grauen in den NS-Konzentrationslagern. Mittels eines detailliert rekonstruierten Lagers in Miniaturform und tausender kleiner Puppen, die Gefangene und Lageraufsicht nachbilden, lassen sie 60 Minuten lang die Bilder des Schreckens in Auschwitz aufleben. Geräusche reichen ihnen da völlig. Monatelang wurde an der Errichtung des Sets gearbeitet.

Die „Fidena“ hat in diesem Jahr unter den Fittichen der RuhrTriennale wieder volles Programm. „Unter die Haut“ heißt das diesjährige Motto des internationalen Bochumer Festivals, das bereits seit 47 Jahren existiert. Mehr als 120 Mitwirkende aus sieben Nationen zeigen ab Ende September in mehr als 50 Vorstellungen Schattentheater, Videokunst, visuelles Theater sowie Puppen- und Objekttheater. „Es geht um Themen die unter die Haut gehen, aber auch um Momente und Augenblicke eines Theaterabends, die berühren“, sagt Festivalleiterin Annette Dabs. Als Hülle verschließe Haut schützend oder täuschend das Selbst, das Authentische liege gemeinhin unter der Haut.

Offiziell eröffnet wird Fidena in der „historischen“ Zeche 1 hinter dem Prinz Regent Theater mit dem Stück „A Distances“. Der französische Zeremonienmeisters des Objekttheaters, Jean-Pierre Larroche (Architekt, Bühnenbildner, Darsteller und Maler), zeigt sieben Variationen über den Zufall. Dabei werden Gegenstände aus der Ferne manipuliert und ihr unkontrollierbares Eigenleben freigelegt. Stühle entwickeln plötzlich eine lodernde Phantasie, ein Wasserglas wird ziemlich eigensinnig und ein Schrank zitiert lässig Dada und Shakespeare. Dabei droht ein kleiner, kampfeslustiger Doppelgänger Larroches dem Geschehen zu entkommen.

Der Star unter den Puppenspielern, der Australier Neville Tranter wird während seines Fidena-Gastspiels mit dem „Stuffed Puppet Theatre“ aus Holland nicht nur als Gastdozent an der Kinderakademie der RuhrTriennale unterrichten, sondern auch einen Workshop im Figurentheater-Kolleg geben. Er hat diesmal nicht den bösen Schicklgruber aus dem Führerbunker dabei, sondern Vampire in einer komödiantischen Horrorstory mit trauriger Familiengeschichte: Irgendwo im frostigen Norden verschlägt es einen Vater und seine kranke Tochter auf einen Campingplatz. Die Hoffnung auf Erholung verkehrt sich in einen Alptraum. Denn hier herrschen nicht nur der habgierige Besitzer und sein schuldbeladener Assistent. Ein alter Blutsauger treibt in diesem Idyll sein Unwesen und begehrt das kranke Mädchen.

FIDENA27. September bis 03. Oktober 2006Infos: 0234-47720