Vorhang auf für den Konkurrenzkampf

Die Qualität an den NRW-Bühnen ist zwar gestiegen – eine richtige Nummer Eins fehlt. Deshalb baggern die Theater nun Zuschauer der freien Szene an

VON PETER ORTMANN

Der Shakespearsche Mohr hat seine Schuldigkeit noch lange nicht getan. Er dominiert mit Henrik Ibsen die Spielzeiteröffnung der NRW-Theater. Zweimal Othello-Premieren in Essen und Düsseldorf zum Auftakt in einem Monat. Da geht es um das Fremde und das Böse. Dazu Dürrenmatts „Die Physiker“ am Theater Oberhausen, vor dem Hintergrund der Angst vor islamistischen Terroristen. Das gibt zu denken. Sind Stadt-Theater endlich politischer geworden oder ist die Abhandlung aktueller gesellschaftlicher Probleme schon wieder Marketingstrategie? Die Inszenierungen mit ihren Rahmenprogrammen werden das in den nächsten Wochen zeigen.

Gleich vier Bühnen haben sich zum Start in die neue Theatersaison dagegen Stücke des norwegischen Dramatikers Ibsen ausgesucht. Der revoltierte in seinen Gesellschaftsdramen eher gegen die bürgerliche Moral des vergangenen Jahrhunderts. Oder sollte sich da nichts geändert haben? In Dortmund steht jedenfalls „Hedda Gabler“ bereits auf dem Programm und am Bochumer Schauspielhaus inszeniert Intendant Elmar Goerden Ende September das selten aufgeführte Schauspiel „Rosmersholm“ über einen ehemaligen Pfarrer, der mit der Pflegerin seiner verstorbenen Frau zusammen lebt. Am Schauspiel Bonn zeigt Generalintendant Klaus Weise eine weitere „Nora“, die er auch schon in Oberhausen auf die Bretter hob.

Interessant wird es im Schauspiel Wuppertal. Zum 40-jährigen Jubiläum wird dort Ibsens mystisches Drama um „Peer Gynt“ gezeigt. Auch eine direkte Konkurrenzsituation – und gleich zum NRW Flaggschiff RuhrTriennale. Kein geringerer als Peter Zadek zeigt bei Jürgen Flimm, der ihm eine ganze Werkschau widmete, seine Berliner Inszenierung der Gyntschen Zwiebelschälung.

Apropos Konkurrenz. Die meisten der NRW-Bühnen setzen zum Auftakt auf Klassiker. Im Rennen um das fahrfreudige Publikum hat das wohl auch die besten Aussichten. Noch bis Oktober hat bleibt mit der RuhrTriennale noch ein mächtiger Gegner im Spiel, auch wenn dort immer wieder beteuert wird, der Event würde keinem Stadttheater etwas weg nehmen.

Eins ist sicher: Die Qualität an den Bühnen ist allgemein gestiegen. Doch eine richtige Nummer Eins gibt es landesweit nicht mehr, auch wenn Kritikerumfragen etwas anderes suggerieren. Laut diesen liegen in der Spitzengruppe Essen, Bonn und Bochum momentan gleichauf. Und in Düsseldorf, wo die neue Intendantin Amelie Niermeyer mit „Othello“ in der Inszenierung von Stephan Rottkamp ihren Einstand gibt, ist eine neue Spielerin um die Spitze der Theater-Pyramide aufgetaucht. Alle vereint, dass sie inzwischen auch Lesungen, Musik und Kinderprogramme anbieten und mit Geld und professioneller Ausstattung ihre Hände nach der freien Szene ausstrecken. Viele Theater locken die bekannteren Protagonisten der einstigen Avantgarde auf ihre eigenen kleinen Bühnen und trocknen damit langsam die so wichtigen Off-Bühnen aus.

So wird zum Beispiel in Düsseldorf 2007 am Bahnhof eine neue Bühne eröffnet. Die Stadt schenkt ihrem Schauspielhaus das „Central“, eine Studiobühne für 200 Zuschauer, das sich zu einem Kommunikationszentrum für die ganze Landeshauptstadt mausern soll. Dabei hat Düsseldorf mit dem Forum Freies Theater bereits ein renommiertes Theater, das genau die Themenfelder abdeckt, die das „Central“ als Neuschöpfung bewirbt.

Wenn das überregional richtig Schule macht, dann steht die Theater-Pyramide in Nordrhein-Westfalen bald nicht nur ohne Spitze, sondern auch noch ohne gesunden Baugrund da.