Zeuge wird abgewertet

NRW schiebt Zeugen in der Affäre um guineische Flüchtlinge heute ab. Staatsanwaltschaft, Ausländerbehörde und Innenministerium schieben sich gegenseitig Verantwortung zu

VON NATALIE WIESMANN

Für die mutmaßliche Abschiebung von Nicht-Guineern nach Guinea will niemand in Nordrhein-Westfalen zuständig sein. „Das ist erst einmal ein Gerücht“, sagt Friedhelm Weller, Leiter der Zentralen Ausländerbehörde Dortmund (ZAB).

Der im Abschiebeknast Büren inhaftierte Guineer Mustafa Diallo hatte im taz-Interview von einem Nigrer berichtet, der in der ZAB von einer umstrittenen Delegation mit guineischen Passersatzpapieren ausgestattet und anschließend nach Guinea abgeschoben wurde. Diallo hatte außerdem berichtet, dass der Kopf der Delegation, N‘Faly Keita, willkürlich Guineer und Nicht-Guineer bestimmt habe. Keita habe ihm angeboten, für 1.000 Euro seine guineische Identität zu leugnen und ihn so vor der Abschiebung zu retten.

ZAB-Leiter Weller verteidigt das Verfahren zur Identifizierung von guineischen Flüchtlingen. Die Behörde kann abgelehnte Asylbewerber nur dann nicht abschieben, wenn ihre Nationalität nachgewiesen ist. „Die Delegation ist ordnungsgemäß vom guineischen Staat bestimmt worden.“ Das sei rechtlich einwandfrei, denn die Botschaft hätte zu langsam gearbeitet. Außerdem dürfe man Aussagen von Flüchtlingen gegenüber den Medien nicht zu schwer gewichten: „Sie wissen gar nicht,wie viel hier gelogen und vorgetäuscht wird.“

Der Staatsanwaltschaft Dortmund, die noch gegen Keita ermittelt, war Mustafa Diallo als Zeuge nicht bekannt. „Er muss sich an uns wenden“, sagt Oberstaatsanwalt Heiko Oltmanns, stellvertretender Sprecher der Justizbehörde. Für die Befragung des Zeugen sei es vermutlich zu spät: Denn der ermittelnde Kollege sei nicht im Hause – und Diallo wird heute abgeschoben. Für das Ermittlungsverfahren seien die Aussagen des Guineer gegenüber der taz ohnehin „nur am Rande“ verwertbar: „Sie sind nicht deutlich genug“, so Oltmanns.

Auch das NRW-Innenministerium will keinen vorläufigen Abschiebestopp für vermeintliche oder echte Guineer verhängen. „Dafür sind wir nicht zuständig“, sagt Sprecherin Dagmar Pelzer. Ob die Abschiebungen im Einzelfall ausgesetzt werden könnten, liege in der Verantwortung der Dortmunder Ausländerbehörde. „Die Zeugen müssen sich in das Zeugenschutzprogramm der Staatsanwaltschaft aufnehmen lassen“, rät sie.

Für Mustafa Diallo ist das zu spät. Guinea-Expertin Ursula Reimer von der Internationalen Gemeinschaft für Menschenrechte wurde aufgrund des taz-Interviews aktiv: Sie hat zum Schutz von Diallo eine örtliche Menschenrechtsorganisation und die Presse zum Flughafen der guineischen Hauptstadt Conacry bestellt. Denn ein weiteres Delegationsmitglied, Abdel Nasser Condé, sei dort der Administrationsdirektor des Flughafens. „Der hat alle Macht, Diallo verschwinden zu lassen.“ Keita ließe sich nach ihrer Information inzwischen von einer Präsidialgarde beschützen. „Damit er nicht gelyncht wird.“