Drei Körbe für digitale Kopien

URHEBERRECHT Wer darf in der Wissenschaft was wie vervielfältigen? Im dritten Anlauf lichtet sich das Durcheinander ein wenig

Texte am Terminal zu lesen, ist erlaubt. Sie auszudrucken oder herunterzuladen jedoch nicht

VON ANSGAR WARNER

Gerade in Prüfungszeiten ist Literatur in der Unibibliothek so knapp wie ein Tanga – zumindest was gedruckte Bücher angeht. Elektronische Kopien kann man dagegen in unbegrenzter Zahl zur Verfügung stellen, jedenfalls theoretisch. „Informationen können digital problemlos weitergegeben werden, in der Praxis wird das allerdings in den meisten Fällen unterbunden“, so Matthias Spielkamp vom Projekt irights.info.

Wie wenig Spielraum das deutsche Urheberrecht den Universitätsbibliotheken lässt, zeigt das Beispiel der TU Darmstadt. Dort hatten die Bibliothekare begehrte Standardwerke eingescannt. So etwa die „Einführung in die Neuere Geschichte“ des Historikers Winfried Schulze. An Terminals im Lesesaal konnten die Studenten dann den elektronischen Schulze lesen und sich Ausdrucke machen oder Kopien auf USB-Sticks laden. Dabei berief man sich auf einen Paragrafen im Urheberrechtsgesetz, der es erlaubt, wissenschaftliche Werke „an elektronischen Leseplätzen zur Forschung und für private Studien zugänglich zu machen“.

Schulzes Verlag fand das nicht lustig. Wurde da die Uni-Bibliothek nicht zur akademischen Pirate Bay? Die Sache ging vor Gericht und endete mit einem salomonischen Urteil. Die Terminals seien grundsätzlich erlaubt, befanden die Richter, das Ausdrucken oder Downloaden sei es jedoch nicht. Für Bibliotheksdirektor Hans-Georg Nolte-Fischer ist das kaum akzeptabel: „So macht wissenschaftliches Arbeiten keinen Sinn – dazu gehört schließlich, dass man die Ergebnisse schwarz auf weiß nach Hause tragen kann.“ Mangels technischer Möglichkeiten hätte man in Darmstadt per Hand vom Bildschirm abschreiben müssen. „Wir haben uns entschieden, das Angebot vorerst wieder abzuschalten“, so Nolte-Fischer.

Genauer gesagt, bis zu einer Reform des Urheberrechts. Denn im Wissenschaftsbereich steht eine Anpassung deutscher Gesetze an eine 2001 erlassene EU-Richtlinie zu Copyright & Co an. Mit dem „Ersten Korb“ regelte Rot-Grün 2003 die Online-Nutzung, digitalen Kopienversand oder das sogenannte Digital Rights Management. Schwarz-Rot schuf 2008 mit dem „Zweiten Korb“ Regelungen zu Downloads aus Internet-Tauschbörsen, und die Anpassung des Rechts auf Privatkopien.

Privat geht ein wenig mehr

Nun darf sich mit dem „Dritten Korb“ Schwarz-Gelb in den Paragrafen des Urheberrechts verewigen – etwa mit verbesserten Regelungen für das wissenschaftliche Arbeiten im digitalen Zeitalter. Schon bisher profitierte die Alma Mater im „analogen“ Bereich von „Schrankenregelungen“. Sie erlauben es etwa, dass Bibliotheken Bücher ohne die Einwilligung des Verfassers verleihen dürfen. Einer „Schrankenregelung“ des Urheberrechts ist es auch zu verdanken, dass man private Papierkopien von Aufsätzen oder Teilen von Büchern herstellen darf.

In anderen Bereichen ist das Recht auf Privatkopien noch immer heiß umstritten – die Musikbranche bezichtigt notorische „Raubkopierer“ sogar des „Verbrechertums“. Vor allem die Künstler selbst würden durch Verstöße gegen das Urheberrecht in ihrer Existenz bedroht. Ähnlich argumentieren jetzt offenbar die Wissenschaftsverlage.

„Das Geschäftsmodell im Wissenschaftsbetrieb ist aber völlig anders“, widerspricht Matthias Spielkamp von irights.info solchen Vergleichen. „Es geht in den meisten Fällen für die Autoren nicht darum, über Content Geld zu verdienen. Die meisten Wissenschaftsautoren publizieren die Ergebnisse ihrer Arbeit im Rahmen einer staatlich finanzierten Forschungstätigkeit.“ Die Befürworter der „Open Access“-Strategie fordern deswegen einen freien Zugang zu wissenschaftlichen Informationen über das Internet. Um das zu ermöglichen, könnte man etwa Autoren das unabdingbare Recht zur Zweitverwertung zusprechen. Bisher sind Urheber gerade in den Naturwissenschaften in einer Zwickmühle. Wollen sie in namhaften Zeitschriften wie Science oder Nature veröffentlichen, müssen sie sämtliche Rechte abtreten. Veröffentlichen sie dagegen in freien elektronischen Zeitschriften, nimmt sie die Scientific Community nicht für voll.

Gelesen werden die meisten Artikel und Fachbücher mittlerweile ohnehin auf den Displays von Laptops oder PCs. Die Universitätsbibliothek der TU Darmstadt ist dafür ein gutes Beispiel: „Wir bieten etwa 15.000 elektronische Zeitschriften und mehr als 20.000 E-Books an“, so Hans-Georg Nolte-Fischer. In vielen Fällen sind die Angebote „e-only“, also gar nicht mehr auf Papier verfügbar. Wer online in Datenbanken, elektronischen Zeitschriften oder E-Books recherchieren will, stößt allerdings auf ein Sammelsurium unterschiedlichster Nutzungsbedingungen. Manche Medien darf man nur innerhalb der Bibliotheksräume nutzen, andere sind über eine „Campus-Lizenz“ verfügbar, Ausdrucke oder Downloads sind mal erlaubt, mal verboten. Die Verlage dürften sich mit einer engen Auslegung des Urheberrechts jedoch ins eigene Fleisch schneiden – denn die befürchtete „Kannibalisierung“ der Gutenberg-Galaxis zugunsten elektronischer Formate bleibt offenbar aus.

Das gilt nicht nur für Online-Buchhändler wie Amazon, sondern auch für deutsche Bibliotheken: „Nicht nur die elektronische Nutzung von Inhalten nimmt stark zu. Wir konnten in den letzten Jahren auch eine Verdopplung der Buchausleihen verzeichnen“, so Nolte-Fischer.