Stadtchef gibt seinen Bürgern Sonntag frei

Der Coesfelder Bürgermeister Heinz Öhmann hat seinen Bürgern empfohlen, dem Bürgerentscheid am Sonntag fern zu bleiben. „Ein Versehen“, sagt er. Doch immer wieder boykottieren Bürgermeister Instrumente direkter Demokratie

COESFELD taz ■ Die Empfehlung war eindeutig: Man solle entweder mit „Nein“ stimmen, riet der Coesfelder Bürgermeister Heinz Öhmann (CDU) – oder „einfach nicht hingehen“. So stand es vergangene Woche auf der Internetseite der Stadt, ein paar Stunden lang. Heute nennt es Öhmann „ein Versehen“, zum Boykott des für morgen anberaumten Bürgerentscheids über ein Verkehrskonzept des Rates aufgerufen zu haben. „Das war nicht geplant“, sagt Stadtsprecherin Dorothee Hertz. Für Rummel hat der Appell dennoch gesorgt.

Denn Coesfeld ist kein Einzelfall. Immer wieder lehnen es nordrhein-westfälische Politiker offen ab, dass Bürger auf politische Sachfragen direkt Einfluss nehmen. Obwohl die Landesverfassung dieses Recht einräumt. Für Thorsten Sterk vom Verein Mehr Demokratie, der sich seit Jahren für Bürgerbeteiligung einsetzt, ist das ein Rückschritt: „Es ist politisch nicht besonders modern, zum Boykott aufzurufen“, sagt Sterk. Und unmodern ist in diesem Sinne nicht nur der Coesfelder Bürgermeister.

Beispiel Oberhausen: Dort rief SPD-Oberbürgermeister Burkhard Drescher im Jahre 2003 dazu auf, dem ersten Bürgerentscheid der Stadt fernzubleiben. Mit Erfolg: Der Versuch, den Verkauf des Kanalnetzes zu kippen, scheiterte – und Drescher gefiel sich in der Rolle des Siegers. Anderes Beispiel: der doppelte Bürgerentscheid in Leverkusen. Selbes Jahr, selber Versuch, die Bürger zur Stimmverweigerung zu bewegen. Hier ging der Schuss jedoch nach hinten los. Die Entscheide glückten. Weder das Rathaus wurde wie geplant umgebaut, noch ein neues Schwimmbad errichtet.

Mit ihren Boykott-Aufrufen zielen die Politiker darauf, dass die Bürgerentscheide am nötigen Zustimmungsquorum scheitern. In einer Stadt mit 100.000 Einwohnern muss demnach nicht bloß die Mehrheit der Abstimmenden dafür sein, damit der Entscheid gelingt, sondern mindestens 20 Prozent aller Stimmberechtigten. Sonst ist die Sache vom Tisch. „Das ist das Grundproblem“, sagt Sterk. „Gäbe es kein Zustimmungsquorum, würde auch der Boykott nichts nützen.“

Im Fall Coesfeld fragte sich auch die Kreisbehörde, ob sich die Stadt korrekt verhalten hat. Die Antwort: ja und nein. Zwar findet der Kreis das Vorgehen des Bürgermeisters „grundsätzlich problematisch“. Der Bürgerentscheid sei aber nicht gefährdet, allein wegen der ganzen Presse, sagt Sandra Wilde, Sprecherin des Kreises Coesfeld. Ohnehin könnte es ähnlich laufen wie in Leverkusen: Womöglich wurden durch den Aufruf des Bürgermeisters Menschen angestachelt, allein aus Protest gegen die Statdoberen abzustimmen. Womit das Zustimmungsquorum vielleicht näher rückt.

Wenn die Menschen überhaupt Ahnung von der Materie haben. Mehr Demokratie kritisiert auch, dass in Coesfeld nicht, wie andernorts üblich, ein Abstimmungsbuch verschickt wurde, in dem die Argumente aller Parteien aufgelistet sind. Obendrein ist der Abstimmungszettel umständlich gestaltet. Die Bürger, die gegen die Pläne sind, müssten eigentlich mit „Nein“ stimmen. Die Frage des Entscheids lautet aber: „Soll der am 9.2.2005 vom Rat der Stadt Coesfeld beschlossene Verkehrsentwicklungsplan aufgehoben werden...?“ Nein ist also positiv – jedenfalls für den Rat.

Es liege an der „persönlichen Einstellung der Entscheider“, dass unterschiedlich mit direkter Demokratie umgegangen werde, sagt Stark. Denn es gibt es auch positive Fälle: In Hamm etwa initiierte der Rat vor wenigen Monaten selbst einen Bürgerentscheid – und unterlag.

BORIS R. ROSENKRANZ