„Frauen sind nicht so“

Altersliebe im Alterswerk: Bei der Tagung der Thomas-Mann-Gesellschaft in Lübeck spricht die Literaturwissenschaftlerin Anja Schonlau über Thomas Manns literarische Sympathie für eine vermeintlich unzeitgemäße Erfahrung. Ein Interview

INTERVIEW FRIEDERIKE GRÄFF

taz: Seien es Martin Walser oder die US-Kollegen Philipp Roth und Louis Begley – was macht das Thema Altersliebe für den alternden Schriftsteller so reizvoll?

Anja Schonlau: Das liegt sicherlich daran, dass wir ein demographisch verändertes Bild mit mehr Alten in der Gesellschaft haben –und das führt zwangsläufig dazu, dass Alter und Altersliebe stärker thematisiert werden.

Aber auch Michelangelo, Goethe und Thomas Mann hat das Thema beschäftigt, zu einer Zeit, als man Wort Demographie noch gar nicht benutzte.

Historisch besteht der Reiz darin, dass es sich um ein vermeintliches Vergehen gegen die Natur beziehungsweise die Gesellschaft handelt. Das wird dann natürlich zunehmend anders gewertet, so dass sich die Schwerpunkte in der Gegenwart verschoben haben. Wenn man heute über eine alte Frau und einen jungen Mann schriebe, wäre es politisch korrekt, das positiv darzustellen.

Dafür gibt es aber kaum Beispiele. Bei Roth oder Walser sind es alternde Männer, oft Intellektuelle, die sich mit knackigen Studentinnen oder Schauspielerinnen der Töchter-Generation einlassen.

Mir ist derzeit in dieser Form von Altersliebe auch nichts bekannt. Anfang des 20. Jahrhunderts brachte es der Roman „Im gefährlichen Alter“ von Karin Michaelis zum Skandal, weil sich dort eine Frau jenseits des Klimakteriums scheiden lässt und sich in einen jungen Mann verliebt. Was es dagegen heute schon gibt, sind veränderte Darstellungen alter Frauen, die nicht mehr grundsätzlich positiv gezeichnet werden müssen und viel aktiver erscheinen.

Aber hat sich der Ton wirklich verändert, wenn Harald Schmidt von Fernsehredakteurinnen ab 35 Jahren als dem „sexuellen Medienproletariat“ spricht, das mit Glück einen One-Night-Stand mit dem Beleuchter hat? Vielleicht hieße das auch, Literatur und Schwachsinn zu vermengen.

Ich glaube, diese Art von Herrenwitz ist nicht wirklich ausrottbar. Aber das hat mit der Literarisierung tatsächlich nicht so viel zu tun. Natürlich gibt es eine Wechselbeziehung zwischen literarischem und öffentlichem Diskurs, aber da muss man deutlich zwischen ihnen unterscheiden.

Spiegelt sich in der Gegenwartsliteratur, dass Film- und Sportprominenz die Beziehung zu jungen Frauen qua Ehe institutionalisieren?

Ich glaube, dass das weniger von Bedeutung ist, da die Ehe eines älteren Mannes mit einer jüngeren Frau zum Beispiel im 18. Jahrhundert durchaus häufig war. Und umgekehrt gab es den jungen Gesellen, der die Witwe des Meisters heiratete. Die Darstellung war aber etwas anderes: Im Anfang gehörte es zum Komikfach.

Und wann kam die Emanzipation vom Spottbild Altersliebe?

Zweifellos wird das Thema wegen des zwischenmenschlichen Gefälles immer der Komik dienen. Das Interessante ist, dass nach Goethe auch Thomas Mann in seiner Novelle „Die Betrogene“ die Figur so behandelt, dass ihre Integrität nicht beschädigt wird.

Aber tritt nicht auch Thomas Mann mit der Prämisse an, dass die Altersliebenden tendenziell von der Lächerlichkeit bedroht sind?

Darum geht es ihm ganz zentral. Ursprünglich geht es ihm um die Spannung, die in einem großen Künstler entsteht, der sich in der Heimsuchung durch die Liebe menschlich zeigt. Und dass er das im Spätwerk anhand einer Frauenfigur darstellt, kann man zwar als Spiel mit einer seiner Masken sehen, ist aber ungewöhnlich – und damit der große Schritt, den er mit der „Betrogenen“ macht.

Martin Walser wurde bei den Sex-Szenen seines jüngsten Romans Altherrenphantasien angekreidet. War Thomas Manns Darstellung zu diskret, als dass sie solche Kritik auf sich gezogen hätte?

Dort ging es vor allem um die unverblümte Darstellung von Unterleibskrebs. Da das für den Skandal reichte, hat sich das, was man in den 50er Jahren zum Thema ältere Frau und junger Mann hätte sagen können, erledigt. Einen Skandal hat es gegeben, als Karen Michaelis Ende des 19. Jahrhunderts über die gleiche Konstellation schrieb. In ihrer Replik schrieb eine Ärztin 1911, dass Frauen zu ihr gekommen seien und gesagt hätten: „Frauen sind nicht so und wenn sie so sind, sollten wir nicht darüber reden“. Das fand ich mentalitätsgeschichtlich sehr schön.