„Ich wollte keinen Reparaturbetrieb führen“

Der langjährige Leiter der freien Schule, Lutz Wendeler, unterrichtet seit diesem Jahr wieder an einer staatlichen Gesamtschule – nach Prinzhöfte-Prinzipien. Im Interview erzählt er, was er falsch gemacht hat. Und was richtig

taz: Herr Wendeler, die Kinder, die Sie neuerdings unterrichten, haben vier Jahre getan, was die Lehrerin ihnen sagt. Jetzt sollen sie plötzlich selbst über ihren Unterricht entscheiden. Geht das gut?

Lutz Wendeler: Die ersten zwei, drei Jahre werden harte Arbeit. Man darf Kinder auch nicht ins kalte Wasser werfen und sie alleine lassen nach dem Motto „jetzt macht mal“. Das haben wir in Prinzhöfte auch nicht getan. Am Anfang ist man erst einmal der Chef und dann lässt man die Zügel langsam locker – wobei man als Lehrer immer die Autorität in der Gruppe bleiben muss, sonst geht es drunter und drüber. Aber die Kinder sollen selbst entscheiden, wie sie lernen wollen.

Und das klappt immer?

Nein. Es gibt Kinder, die aufgrund ihrer Erziehung oder was auch immer einfach wissen wollen, was sie tun sollen. Die haben nicht zu uns gepasst.

Haben Sie Fehler gemacht?

Ich würde sagen, dass wir die großen Dinge richtig gemacht haben, also was Selbständigkeit angeht, Teamarbeit, Selbstorganisation. Die Schüler und Schülerinnen sind inhaltlich und methodisch fit.

Keine Selbstkritik?

Doch. Ich habe anfangs gedacht, eine Schule wie Prinzhöfte kann beliebig viele schwierige Kinder integrieren, nach dem Motto „schickt die mal alle zu uns, wir kriegen die schon wieder hin“. Das war überheblich. Jetzt weiß ich, dass eine Gruppe von 20 Kindern drei oder vier solcher Schüler verträgt, die sich nicht an Regeln halten. Wenn es mehr sind, dann fliegt Ihnen die Gruppe auseinander. Außerdem habe ich unterschätzt, dass sich manche Defizite im Lernen später nicht mehr von selbst geben, sondern dass man wirklich in der sensiblen Phase, also bei Grundschulkindern, darauf achten muss, ob sie etwa gravierende Rechtschreibschwierigkeiten haben.

Es gibt Prinzhöfte zugetane Menschen, die sagen, die Kinder können nicht rechnen und schreiben und niemand bringt es ihnen bei.

Das kann ich mir eigentlich nicht vorstellen, vor allem, dass die Lehrkräfte nicht in der Lage wären, ihnen zu helfen.

Ist es in Ordnung, wenn Viertklässler nicht lesen, schreiben, rechnen können?

Nein, das ist nicht in Ordnung, die Grundlagen müssen da sein. Wobei es auch Kinder gab, die von der Regelschule zu uns kamen und erschreckend wenig konnten. Ich würde aber mittlerweile tatsächlich sagen, dass zum Beispiel Rechnen nicht so wichtig ist – das kann später der Taschenrechner übernehmen. Entscheidend ist, dass Kinder ein mathematisches Verständnis entwickeln, also Muster und Strukturen erkennen können.

Dennoch wechseln viele aufs Gymnasium, weil die Kinder oder ihre Eltern glauben, dort mehr lernen zu können.

Ich hoffe, dass wir mit unseren exzellenten Prüfungsergebnissen das Gegenteil bewiesen haben. Es hat mich immer wahnsinnig frustriert, wenn die gegangen sind. Ich wollte die Kinder nicht fit machen für’s Gymnasium, als Reparaturbetrieb.

Was ist daran verkehrt?

Ich bin Gesamtschullehrer, ich halte es für falsch, wenn man Eliten zusammenfasst und die unter sich bleiben.

Haben Sie Angst, dass Sie den Nachwuchs für McKinsey und Co. ausbilden – wie an anderen Alternativschulen geschehen?

Ja, habe ich, aber ich kann es nicht verhindern. Ich halte nichts von Ideologien und muss daher damit leben, wenn die nicht die Welt retten, sondern Geld verdienen wollen.

INTERVIEW: EIKEN BRUHN