Kein Aldi-Studium für die Nachbarkinder

Gestiegene Bewerberzahlen an den Unis Lübeck, Flensburg und Kiel entfachen Debatte um Studiengebühren neu. Laut CDU-Wissenschaftsminister Dieter Austermann verdrängen Bewerber aus Niedersachsen und NRW die Landeskinder

von Kaija Kutter

An der Universität Flensburg ist die Zahl der Bewerber fürs neue Wintersemester um fast ein Drittel von rund 2.500 auf 3.400 gestiegen. „Das freut uns natürlich sehr“, erklärte Rektor Heiner Dunckel bei Bekanntgabe der Rekordzahl, verwies aber auch darauf, dass der Anteil der Landeskinder darunter gesunken sei und dafür mehr Menschen als früher aus Niedersachsen an einem Studienplatz in Flensburg interessiert seien.

Flensburg ist kein Einzelfall. Die Lübecker Nachrichten meldeten gestern einen „Ansturm auf die Unis im Norden“ und fachten die Debatte um Studiengebühren neu an, belegt mit Zahlen auch für Lübeck und Kiel. An der Christian Albrechts Universität in der Landeshauptstadt kletterte die Bewerberzahl auf 17.000, das sind 25 Prozent mehr als im Vorjahr. Und auch die weit kleinere Universität Lübeck, mit Schwerpunkt Medizin und Life-Siences, die jüngst in punktko Studienqualität ein Stern-Ranking gewann, verbucht derzeit ein Plus von 20 Prozent im Vorjahresvergleich.

Sogar die Fachhochschule Lübeck, auf technische Fächer spezialisiert, verzeichnet eine Zunahme von 1.700 auf 2.000 Bewerber. „Die Frage nach Gebühren ist oft ein Grund für Telefonate in Bewerbungsphasen“, berichtet Uwe Bittermann vom Sachgebiet für Studentische Angelegenheiten der FH. Viele Studieninteressierte aus Nachbarländern bewürben sich, „weil wir noch keine Gebühren für das Studium erheben“. Niedersachsen nimmt bereits ab diesem Wintersemester 500 Euro von jedem Studierenden, Hamburg wird im Frühjahr nachziehen.

Es sollte das „gleiche Vorgehen bei Studiengebühren in allen Ländern“ geben, forderte gestern der Prorektor der Lübecker Uni, Peter Schmucker, „damit es keine Ströme von einem Bundesland ins andere gibt“.

Das ist Rückenwind für CDU-Wissenschaftsminister Dietrich Austermann, der gegen den Willen von Koalitionspartner SPD ein Gebührengesetz durchdrücken will. „Es kann nicht sein, dass wir Studenten aus Niedersachsen und Hamburg im Vergleich zu ihren Heimatländern hier eine Art Aldi-Studium bieten – gut und billig“, sagt Austermann. Darunter hätten Schleswig-Holsteins Schulabgänger zu leiden, die von Bewerbern mit besseren Noten aus anderen Ländern verdrängt würden.

Es könnte sein, dass es schlicht mehr Bewerber gebe und man hier die „Vorvibration“ des ab 2012 erwarteten Studentenberges habe, ergänzt sein Sprecher Harald Haase. „Wir interpretieren den Anstieg aber schon so, dass er mit den Gebühren im Zusammenhang steht.“ Das Argument, dass man mit einem kostenlosen Studium qualifizierte Kräfte ins Land holen könne, lässt er nicht gelten. „Die gehen am Ende des Examens in ihr Heimatland zurück. Und wir haben sie mit Landesgeld ausgebildet.“

Austermann hat es freilich nicht in der Hand, ein Studiengebührengesetz einzubringen. Wie aus der Kieler Staatskanzlei zu hören ist, will Ministerpräsident Harry Carstensen erst abwarten, wie am übernächsten Sonntag die Landtagswahl im ebenfalls noch gebührenfreien Mecklenburg-Vorpommern ausgeht, bevor er das Thema wieder anpackt. Im Koalitionsvertrag mit der SPD ist vereinbart, dass das nördlichste Bundesland keine Vorreiterrolle bei Studiengebühren einnehmen soll, aber auch nicht als letzte gebührenfreie Insel übrig bleiben darf.

Der SPD schmeckt das nicht. Gebühren seien „absolut kontraproduktiv“, erklärt ihr bildungspolitischer Sprecher Henning Höppner. Wenn mit Beginn des Wintersemesters 2007/2008 in Hamburg und Niedersachsen die Studiengebühren vollständig eingeführt sind, werde sich zeigen „dass beide Länder Studenten verlieren“.

Eine kuriose Meldung von der Universität Hamburg deutete dies vor einigen Tagen sogar schon an. So hatten von rund 6.700 zugelassenen Bewerbern nur rund 2.700 den Platz haben wollen. „Wir haben genug gute und qualifizierte Bewerber, um die Plätze nachzubesetzen“, stellt Uni-Sprecher Christian Hild klar. Denn auch in Hamburg hatte sich die Zahl der Studieninteressierten von zuletzt 17.000 auf 25.000 erhöht.

Sogar in Niedersachen meldet die Universität Osnabrück mit 10.000 Bewerbungen einen Rekord, trotz Studiengebühren. Mit Ausnahme einiger Ingenieursfächer seien die Zahlen „überall hoch“, sagt auch Meike Ziegenmeier vom Niedersächsischen Wissenschaftsministerium. Die Ursache liege im veränderten Zulassungsverfahren. Weil die Zentrale Studienplatzvergabe (ZVS) nur noch die Medizin-Studienplätze vergibt und die Hochschulen sich ihre Bewerber selbst aussuchen dürfen, gebe es „viele Mehrfachbewerbungen“. Wenn man wissen wolle, wie die Studiengebühren sich auswirken, müsse man „bis Ende Oktober warten, wenn die Einschreibungen erfolgt sind“.