Buchtipp

Entlang der Spree

Die Westberliner haben erst nach der Wende gelernt, in der Spree mehr zu erblicken als einen in Betonwände eingezwängten Schmutzwasserkanal. Einer von ihnen, der Fernsehregisseur Gerd Conradt, hat sich nach dem Mauerfall ganz besonders gründlich mit dem Fluss befasst. Resultat ist sein Bild- und Reportagenband „An der Spree“, ein Kaleidoskop aus Interviews mit Menschen, die durch ihre Kindheit oder ihren Beruf dem Fluss verbunden sind.

Bei den Illustrationen wechseln professionelle Fotos mit Ortsszenen aus Familienalben der Porträtierten ab. Die Spreelandschaft wird dabei nicht nur als Heimat der milchsauren Gurke vorgestellt, sondern auch als Wiege von Kultur und Wissenschaft. So spürt der Autor einer unsichtbaren Strömung nach, die aus Australien zu den Auen um Trebatsch zwischen Neuendorfer und Schwielochsee führt. Dort haben Enthusiasten ein Museum für den im Ort als Sohn eines Torfstechers geborenen Naturwissenschaftler Ludwig Leichhardt eingerichtet. Der durchquerte 1844/45 als erster Weißer Australien von der Ostküste nach Norden und dokumentierte die dortige Flora und Fauna.

Hartnäckigkeit und Ausdauer verdankt Karin Büttner-Janz, einst DDR-Turnerin, zweifache Olympiasiegerin und vierfache Europameisterin, nach eigener Aussage ihrer Kindheit in einem Spreewalddorf bei Lübben. Heute ist sie Direktorin der Orthopädischen Klinik des Vivantes-Klinikums Hellersdorf und Miterfinderin einer unter dem Namen als Charité-Disk weltweit erfolgreichen künstlichen Bandscheibe. Im Interview beschreibt sie, wie sie im Spreekahn herumstakte und Schleusenwärterin spielte.

Der Autor beginnt an der Quelle auf dem Kottmar in der Oberlausitz. Kurz vor Berlin lässt er den Gewässerökologen Martin Pusch zu Worte kommen. Der lernte den Fluss 1993 noch wasserreich kennen und warnt heute vor einer Katastrophe: Durch die Flutung der ehemaligen Braunkohlebergwerke in der Lausitz ist die Spree so wasserarm geworden, dass sie um Berlin manchmal steht oder rückwärts fließt. Doch der Spezialist sieht auch Chancen. Mit ein wenig menschlicher Fürsorge könnte die Spree in noch höherem Maße werden, was sie schon ist: ein erquickender und erquicklicher Fluss. BARBARA KERNECK

Gerd Conradt: „An der Spree. Der Fluss. Die Menschen“. Transit Verlag, 2006, 200 Seiten, Format 22 x 20 cm, 240 Abbildungen, davon 32 vierfarbig, gebunden, 19,80 Euro