JUNGS IN WINDELN
: Diskretes Kacka

Ich wollte doch mal über was anderes philosophieren

Ich lauf so vor mich hin, lasse mich treiben im Strom der Menschen, alle in eine Richtung, als sich der Strom plötzlich teilt um einen Knirps herum, der da so mitten im Weg steht und sich nicht rührt. Ich gucke, ob’s irgendwen gibt, der zu dem Knirps gehört. Erst sehe ich keinen und laufe schon langsamer, aber dann gibt’s doch wen, zehn Meter entfernt. Den Vater.

„Kommst du endlich?“, ruft er. „Kacka“, antwortet der Knirps, und jetzt lauf ich noch langsamer, schaue ihn an, interessiert.

So ein frühkindliches „Kacka“, das ist schon spannend. Ich überlege, ob er’s gesagt hat, wie ich die Erwachsenenversion manchmal von mir gebe, etwa: „Kacka, wieso soll ich denn weiterlaufen, hab’ da grad echt keinen Bock, ist doch Kacka.“ Aber so hat es der Knirps nicht gemeint. Er hat es wortwörtlich gemeint. „Was? Machst du immer noch Kacka?“, fragt der Vater, und weil er zehn Meter entfernt ist, fragt er das ziemlich laut. Ich schaue von ihm auf den Knirps und wieder zurück. Hin und her geht mein Kopf, sehr diskret bin ich nicht, aber der Vater ist da ja keinen Deut besser. Nur der Knirps ist diskret, wie er so steht und dann nickt. Immer noch Kacka.

Papa seufzt. Dann lehnt er sich an sein Rad und wartet. Der Knirps lehnt sich nicht, ziemlich gerade steht er da und starrt vor sich hin in die Luft. Und ich reiße mich endlich los vom Anblick der beiden, laufe weiter und schaue nur ab und zu mal zurück. Knirps steht und starrt, Papa lehnt und wartet.

Irgendwann verliere ich sie aus dem Blick, aber die grundlegende Frage geht mir den ganzen Tag nicht aus dem Kopf: wie viele Knirpse machen gerade Kacka, mitten auf der Straße in ihre Windel, ohne dass ich es weiß? Ich hab da vorher nie drüber nachgedacht, aber jetzt tu ich das schon. Dabei wollte ich auch mal über was anderes philosophieren im Leben, was Intelligentes. Aber Kacka, da wird heute wieder nichts draus. JOEY JUSCHKA