Antworten kennt nur der Wind

Beim „Table of free voices“ geben 112 Experten aus aller Welt Antworten auf 100 Fragen. Sie gehen im Stimmenwirrwarr unter, sollen aber im Internet aufgelistet werden. Doch die Seite ist noch offline

Alle Teilnehmer redeten gleichzeitig und teilweise gestenreich in die vor ihnen aufgebauten Videokameras

Von Elisabeth Rank

Es war ein seltsames Bild, das sich schlendernden Spaziergängern am Samstag Unter den Linden bot. Auf dem Bebelplatz, zwischen Staatsoper und Humboldt-Universität, saßen 112 Menschen an einem riesigen, runden Tisch. Jeder wurde von einer kleine Videokamera vor sich beobachtet, ein Sonnenschirm im Rücken bot dezenten Schutz. Man musste einen Augenblick innehalten, um zu erkennen, dass diese Gruppe Menschen Politaktivisten, Wissenschaftler, Unternehmer und Künstler aus der ganzen Welt waren, die dort auf 100 Fragen zu den „drängendsten Problemen der Zeit“ antworteten. Denn nur die wenigsten waren dafür bekannt genug, und richtig nahe kamen die Flaneure auch nicht an den runden Tisch heran. Auffallend waren immerhin die unterschiedlichen Stühle, auf denen die Teilnehmer saßen, mal klein und robust, mal groß und schnörkelig.

„Was heißt heute Mut?“, lautete eine der Fragen, die die Prominenten – darunter etwa der Regisseur Wim Wenders, der Physiker Hans-Peter Dürr und Exmodel Bianca Jagger – beantworten sollten. Gestellt hatte sie im Vorfeld eine Internetbenutzerin auf www.droppingknowledge.org. Der „Table of Free Voices“, wie der 9-stündige runde Tisch offiziell hieß, war der Startschuss für eine Internetplattform, auf der alle Antworten veröffentlicht werden und künftig jeder Fragen stellen und beantworten kann. Die Organisatoren hoffen, dass die Seite einmal Grundlage eines globalen Dialogs wird. Gleichzeitig soll sie als Nachschlagewerk und Wissensspeicher fungieren.

Die nigerianische Menschenrechtsaktivistin Hafsat Abiola und der US-amerikanische Schauspieler Willem Dafoe moderierten den Wissenstisch. Sie saßen in seiner Mitte und verlasen im 3-Minuten-Takt Fragen zu acht Themengebieten wie „Die neuen globalen Grenzen“ oder „Politik und Gewalt“. Ein lauter Knall deutete jeweils das Ende der Antwortzeit an. Nicht wenige Teilnehmer erschraken dabei. Folge: Nach dem ersten Themenblock „Volkswirtschaft neu erfinden“ wurde der Knall gestrichen.

Das gute Wetter und der geschichtsträchtige Schauplatz bildeten zwar eine eindrucksvolle Kulisse für die Veranstaltung, die jedoch leider nicht sonderlich besucherfreundlich war. Die Moderatoren benutzten zwar Mikrofone, von den Antworten der Promis war aber nichts zu hören. Denn alle Teilnehmer sprachen gleichzeitig in vor ihnen aufgebaute Videokameras. Außer gestikulierenden Händen, gerunzelten Stirnen und sich permanent bewegenden Mündern war nichts herauszufiltern.

Die Teilnehmer auf dem Bebelplatz wirkten ein bisschen wie Richter oder Geschworene, sie nahmen ihre Aufgabe sehr ernst. Auch wenn es für manche der Wissenden sehr befremdlich war, allein in eine Kamera zu argumentieren: Sie schauten nervös in die Runde und suchten Blickkontakt – meist vergeblich. Andere gestikulierten wild, manche lasen ihre Antworten mit Bedacht vom Blatt ab, einige schwiegen eine Weile. „Es ist erlaubt, auch mal eine Frage auszulassen“, hatten die Initiatoren bereits am Anfang verkündet. Auch sei es okay, nicht auf alles eine Antwort zu wissen.

Bedauerlich ist allerdings, dass auch beim Rest der Welt keine einzige Antwort ankam. Ursprünglich war geplant, die Veranstaltung auf der Internetseite zum einen als Text, zum anderen als Video zu dokumentieren. Weder funktionierte die direkte Einspeisung ins Netz am Sonnabend – vielleicht war der Server einfach überlastet –, noch funktioniert bisher die Archivfunktion: Bis gestern Nachmittag war die Website unerreichbar. Da bleiben doch ein paar Fragen offen.