Pariser Vorstoß in Sachen EU-Verfassung

Frankreichs konservativer Innenminister und Präsidentschaftskandidat Nicolas Sarkozy stellt Fahrplan für Reformen vor. So sollen seine Landsleute über eine „Miniverfasung“ abstimmen, und das Vetoprinzip soll abgeschafft werden

BRÜSSEL taz ■ Visionen für Europa seien dringend nötig, darin sind sich in der aktuellen Krise der Gemeinschaft alle einig. Doch die meisten Politiker scheuen sich derzeit, mit konkreten Vorschlägen aus der Deckung zu kommen. Nicolas Sarkozy scheint sich vor heftigen Reaktionen auf seine kühnen Ideen nicht zu fürchten. Der Vorsitzende der konservativen UMP und aussichtsreiche Kandidat für die Präsidentschaftswahlen in Frankreich im kommenden Mai sagte bei einem Vortrag in Brüssel klipp und klar, wie er sich den Fahrplan für Reformen vorstellt und wie diese aussehen sollen.

Über eine „Miniverfassung“ will er die Franzosen abstimmen lassen – auf Grundlage dessen, was im verfassungsgebenden Konvent bereits einen breiten Konsens gefunden hat. Denn es sei undenkbar, seinen Landsleuten den Text unverändert erneut vorzulegen. Ein völlig neuer Verfassungsprozess aber brauche zu viel Zeit. Die habe Europa nicht, denn derzeit seien alle Entscheidungen auf EU-Ebene blockiert. „In einem Ministerrat von 25 Teilnehmern, wie ich ihn als Innenminister ja erlebe, grenzt es an ein Wunder, wenn alle die Tagesordnung billigen.“

Eine solche Lähmung könne sich Europa nicht leisten. Deshalb müsse das Veto-Prinzip abgeschafft werden. Künftig soll die Mehrheit der Länder eine Entscheidung treffen können, wenn sie die Mehrheit der Bevölkerung repräsentiert. Ein Zwergenaufstand kleiner Staaten wäre ebenso ausgeschlossen wie die Dominanz weniger großer Länder. Wer einer Grundsatzentscheidung, wie in der Außenpolitik, nicht zustimmen kann, darf aber aussteigen. Das würde dazu führen, dass ein Land mit seinem Veto nicht länger alle anderen blockieren kann, aber gleichzeitig keiner zum Mitmachen gezwungen wird.

In der Eurogruppe (den Staaten der Währungsunion), so Sarkozy, funktioniere das hervorragend. Warum nicht eine gemeinsame Brigade gegen Waldbrände, der nur italienische, spanische und griechische Feuerwehrleute angehören? Dem unverfänglichen Beispiel schickte der französische Innenminister gleich noch ein brisanteres hinterher: warum nicht eine Flüchtlingspolizei der Mittelmeer- und Atlantikanrainer? Oder eine Fiskalgemeinschaft mit einheitlichen Gewerbe- und Umsatzsteuern?

Weitere unverzichtbare Elemente der Minireform sind für den Präsidentschaftskandidaten das Gesetzesinitiativrecht der Bürger, wenn sie eine Million Unterschriften zusammenbringen, der europäische Außenminister und die Verlängerung des Ratsvorsitzes von sechs Monaten auf zweieinhalb Jahre. Eine Reform der EU-Kommission hält Sarkozy ebenfalls für dringend, will sie aber auf 2014 verschieben, wenn die übernächste Kommission ins Amt kommt. Dann soll der Kommissionspräsident seine Mannschaft selbst zusammenstellen und vom Parlament und dem Rat der Regierungschefs als Paket absegnen lassen.

Wo Europa endet, weiß der Franzose ebenfalls ganz genau: Nur die Balkanländer, Norwegen und die Schweiz dürfen noch rein. Für die Türkei und alle anderen Nachbarn soll sich lediglich der Binnenmarkt öffnen, nicht die politische Union. Einen festen Zeitplan gibt es auch schon: 2006 sagt Sarkozy seinen Wählern, was er vorhat. 2007 wird er zum französischen Präsidenten gewählt und leitet mit Angela Merkel, die dann für sechs Monte EU-Präsidentin ist, die Reform ein. 2008 unter französischer Präsidentschaft wird die Miniverfassung verabschiedet. DANIELA WEINGÄRTNER