Die Sinnstifterin

RANKEN Die Kunsthalle interessiert sich für die besondere Rolle der Arabeske in der Romantik. Daraus wird eine kluge Ausstellung

VON HAJO SCHIFF

Buchstaben entspringen Linien. Diese werden zu Schreibmeisterkringeln, aus denen wiederum Rankenwerk sprießt. Darin verstecken sich kleine Tiere, nackte Elfen und allerlei Zauberwesen. Solches um Texte und Bilder drapiertes Rahmenwerk hat es in der Kunst immer gegeben. In der deutschen Romantik aber wird die Arabeske zu einem eigenständigen, den Gegenstand beherrschenden Stilmittel erhoben. Das zeigt die Hamburger Kunsthalle jetzt in einer gelehrten Ausstellung voller floraler Muster. Schön: Die Ausstellung zeigt auch, wie das einst fantastische oder kosmologische Linienspiel am Ende zum Schmuck schnöder Aktienzertifikate wird.

Im Mittelpunkt steht, klar, der Hamburger Maler und maßgebliche Mitbegründer der Romantik, Philipp Otto Runge (1777–1810). In seinem Tageszeiten-Zyklus oder der „Lehrstunde der Nachtigall“ sowie in seinem Gedankenaustausch mit dem Dichter Clemens Brentano (1778–1842) erreicht das ornamentale Gestaltungsprinzip einen Höhepunkt. Zum Strukturprinzip aller Poesie wiederum erhob Friedrich von Schlegel (1772–1829) das verschlungene Spiel der Arabeske. Auch Goethe fand 1789 in seinem Aufsatz „Von Arabesken“ Gefallen daran.

Dass die Arabeske eine Beziehung zur arabischen Formenwelt hat, legt schon ihr Name nahe. Der filigrane, unendliche Rapport islamischer Wandgestaltung spiegelt sich bereits in den Knotenbildern von Albrecht Dürer. Zu besonderer Bekanntheit gelangte die Arabeske dann, als gerade im 19. Jahrhundert die Ornamentik der maurischen Alhambra in Granada stärker rezipiert und durch Drucke verbreitet wurde.

Das Besondere der romantischen Arabeske ist nun, dass die Rahmung nicht nur gleichberechtigt zur eigentlichen Darstellung oder dem geschmückten Text wird: Das ursprüngliche Beiwerk wird sogar, indem es komplexe Zusammenhänge visualisiert, wichtiger als das darin Gerahmte. Die grafische Form kann einen Zusammenhang herbeizeichnen, der in der Weltsicht längst zerfallen oder verloren gegangen ist. Das ist, über den Epochenbegriff Romantik hinaus, auch umgangssprachlich romantisch an der Verknüpfung von aufgehender Sonne, sprießenden Blütenblättern und emporschwebenden Engeln.

Konzept war das Verwunschene, nur in der Vorstellung Mögliche auch bei einer anderen Wurzel der Arabeske: der römischen Wandmalerei. Deren sogenannter dritter pompejanischer Stil mit überschlanken Scheinarchitekturen voller Ranken, Tiere, Muscheln und Monster wurde zu Beginn des 16. Jahrhunderts wiederentdeckt und als „Groteske“ insbesondere von Raffael in die damalige Gestaltung eingeführt. Goethe verteidigte diese neue alte Formenvielfalt gegen die antiornamentale Kritik des strikten Klassizismus.

Die in Kooperation mit dem Frankfurter Goethe-Museum erarbeitete Hamburger Ausstellung ist die erste überhaupt, die das Randphänomen der Arabeske ins Zentrum der Betrachtung rückt. Warum taucht so etwas über Jahrtausende und in zahlreichen Kulturen immer wieder auf? Es scheint ein menschliches Grundbedürfnis sein, sich die Formen der Welt als sinnvoll geordnet vorzustellen und im Ornament über biologisches Wachsen, geometrische Symmetrien, mathematische Prinzipien und überweltliche Bedeutungen aufs Schönste zu verfügen.

■ „Verwandlung der Welt. Die romantische Arabeske“: 21. März bis 15. Juni, Hamburger Kunsthalle