Gespräch mit gemäßigten Profis
: Tod der Eindeutigkeit

Nils Schuhmacher

In einer jüngst erschienenen Broschüre gegen „Rechtsradikalismus und radikale Milieus“ finden sich einige schöne Beispiele, was man machen kann, um so einem radikalen Milieu mal so richtig das Wasser abzugraben. Ein Beispiel gefällig? Im Rahmen eines schulischen Projekttages könnte man etwa – so heißt es unter dem Stichwort „Musik (HipHop, Rap, P“) – „eigene Sounds mischen, eigene Texte erstellen, […] HipHop-Tanz“ einüben.

So weit so gut, denn schon „darüber entsteht eine Stärkung der jeweiligen Jugendkultur und damit der Persönlichkeit der dort involvierten Jugendlichen. Es findet ein deutliches Abgrenzen von extremen Verhaltensweisen statt“. Richtig krass, das heißt pädagogisch wertvoll, wird es aber erst durch die „Diskussion mit gemäßigten Profis“. Falls nicht jeder gleich checkt, was sie ausmacht: Sie „sollten sich mit dem Thema Gewalt o. ä. auseinandersetzen – und eher positiv besetzte Texte haben“.

Das sind nun Kriterien, so werden manche kritisch nachhaken, die ja nahezu alle in diesem Geläuf erfüllen. Den Bushidos, Sidos, Frauenarzts, Haftbefehls und Co. ist schließlich das eine oder andere vorzuwerfen, aber dass sie sich nicht intensiv mit „Gewalt o. ä.“ beschäftigen nun nicht gerade. Und auch das mit den positiven Texten ist so eine Sache. Schnell kann der Wind sich drehen und was gestern noch direkt aus der schmutzigen Hölle kam, ist heute schon gut für uns alle.

Deshalb haben Bushido und Haftbefehl für ihre Texte auch positive Rückmeldungen bekommen, der eine von der Hubert Burda Media (Integrations-Bambi), der andere von der Duden-Redaktion (Jugendwort des Jahres), und ein nach Schulprojekttag aussehender CSU-Politiker niedrigen Alters ist auch auf den Zug aufgesprungen.

Was man nun aber ebenfalls weiß: Morgen sieht die Welt schon wieder anders aus und es stellt sich heraus, dass natürlich kritische Auseinandersetzung mit Gewalt gemeint und natürlich von positiven Texten ganz besonderer Art die Rede ist. Das ist gut zum Beispiel für Cro, den süßen Panda-Maskenmann mit den rundum positiven Texten, oder für Peter Fox, der zwar kein Rapper ist, aber nun wirklich den Idealtypus des gemäßigten Profis abgibt.

Auch nicht ganz miserabel sind die Aussichten für Marten Laciny. Der aus Rostock stammende Lehrersohn (!) blickt auf eine ganz beachtliche und vielgestaltige Karriere als Fußballtalent (U 17-Nationalmannschaft), Model (Diesel, Boss) und Rap-Musiker zurück. In letzter Funktion durfte er unter dem Namen Marteria bereits beim Bundesvision-Songcontest mitwirken – wo dann allerdings Peter Fox gewann, um sich sogleich unter eine von Lacinys (musikalisch nun nicht meilenweit entfernt liegenden) Veröffentlichungen zu mischen.

Aber um mal etwas Differenzierung walten zu lassen, muss man es wohl so formulieren: Manche Songs des jüngst erschienenen Albums „Zum Glück in die Zukunft II“ sind so gut, dass Laciny fast befürchten muss, dass sie in einen der erwähnten Schülerworkshops geraten. Denn wo die einen nur wahlweise testosterongesteuerte oder harmoniesüchtige Plattitüden (à la „Ich hab 20 Kinder, meine Frau ist schön“) von sich geben, erweisen sich die Texte von Marteria doch als weitaus vielschichtiger und interpretationsfähiger. Oder er kann sich aus genau diesem Grund über eine mögliche Präsenz freuen. Denn wenn überhaupt erst die Frage aufkommt, ob ein Lied wie beispielsweise „Bengalische Tiger“ nun vor einer Radikalisierung warnt oder sie vielleicht eher gutheißt, das ist es ja schon vorbei mit jeder Art Eindeutigkeit.

Wer nicht mehr oder noch nicht zur Schule geht oder wer Lehrer hat, die keine Workshops machen, kann sich am besten live ein Bild von der Sache und ihren Ausmaßen verschaffen. Marteria spielt am 18. 3. in der Alsterdorfer Sporthalle.