Große Kritik an Mini-Erhöhung

Die Union demonstriert ihre neue Einigkeit. Die SPD überlegt, ob sie Schwarz-Gelb im Bundesrat blockieren wird

Bei so viel demonstrativer Einigkeit fiel kaum auf, dass Merkel und Seehofer unterschiedlich intonierten

AUS BERLIN STEFAN REINECKE

CSU-Chef Horst Seehofer war betont selbstbewusst. „So viel Gemeinsamkeiten gab es lange nicht mehr zwischen CDU und CSU“, sagt er Montagmittag nach einer gemeinsamen Sitzung der Präsidien von CDU und CSU. Kanzlerin Angela Merkel hatte zuvor die Mini-Erhöhung von Hartz IV um 5 Euro offensiv verteidigt. „Ich kann beim schlechtesten Willen der Kanzlerin nicht widersprechen“, sagt der CSU-Chef. Er ist sichtlich vergnügt, die Erwartung zu enttäuschen, dass man von ihm Kritik gewohnt ist. Die Botschaft der Union ist eindeutig. Sie zieht an einem Strang. Nur Exgeneralsekretär Heiner Geißler meldete Widerspruch gegen die soziale Unwucht des neuen Hartz-IV-Satzes an (siehe Interview).

Merkel wehrte Kritik an der Mini-Erhöhung ab, indem sie den Ball ins Feld der SPD zurückspielte. Rot-Grün, Erfinder der Hartz-Gesetze, habe 2004 die Höhe von Hartz IV und die Koppelung an die Rente beschlossen. Würde man sich weiter an der Rente orientieren, gäbe es gar keine Erhöhung, so Merkel. Dass für Hartz-IV-Kinder im Rahmen des Bildungspakets „20 Euro mehr ausgegeben“ werde, sei eine Erhöhung, die es in der Grundsicherung noch nie gegeben habe. Allerdings ist weitgehend offen, welche Kinder welche Leistungen bekommen.

Seehofer sekundierte Merkel mit dem Argument, dass die Bevölkerung kein Verständnis dafür habe, wenn man Hartz-IV-Empfängern Tabak und Alkohol finanziere. Dass man jetzt anstelle dessen in die Bildung von Kindern investiere, sei ein „Durchbruch“ im Kampf gegen „die Vererbung von Armut.“ Die Hartz-IV-Erhöhung um 5 Euro im Monat wird circa 300 Millionen Euro im Jahr kosten. Für Bildung sind rund 500 Millionen Euro pro Jahr mehr veranschlagt.

Bei so viel demonstrativer Einigkeit fiel kaum auf, dass Merkel und Seehofer eine Frage unterschiedlich intonierten. Merkel betonte, dass das Urteil des Verfassungsgerichts in der Berechnung des Existenzminimums politische „Wertentscheidungen“ zulasse. Seehofer sagte, man habe den Regelsatz „nach objektiven Kriterien“ berechnet und nur ausgeführt, was Karlsruhe der Politik aufgegeben habe.

Genau dies sehen Gewerkschaften, die Opposition und Organisationen wie Caritas, Diakonie und der Paritätische Wohlfahrtsverband völlig anders. Schwarz-Gelb habe einfach, so die unisono vorgetragene Kritik, die Berechnungsgrundlagen verändert, um einen deutlichen Anstieg von Hartz IV zu verhindern. Auffallend ist allerdings die unterschiedliche Tonlage der Kritik – und deren Konsequenz. Linkspartei-Chef Klaus Ernst kündigte eine Klage vor dem Verfassungsgericht an, Parteivize Katja Kipping sprach von einem Verfassungsbruch und warf Schwarz-Gelb vor, soziale Unruhen zu riskieren. Das Erwerbslosenforum hat bundesweite Demonstrationen angekündigt – zum Beispiel gegen den CDU-Parteitag in NRW am 13. November in Bonn.

Auch die SPD zeigte sich empört. NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft bezeichnete die Mini-Erhöhung als „skandalös“. SPD-Chef Gabriel forderte Merkel auf, die Mehrwertsteuersenkung für Hoteliers, die rund 1 Milliarde Euro pro Jahr kostet, rückgängig zu machen und dieses Geld in Bildung zu stecken.

Doch in der machtpolitisch entscheidenden Frage hält sich die SPD-Spitze bedeckt. Die neuen Hartz-IV-Sätze müssen am 17. Dezember den Bundesrat passieren. Dort verfügt Schwarz-Gelb über keine Mehrheit. Die SPD könnte die schwarz-gelben Pläne stoppen. Kraft hält sich ihr Abstimmungsverhalten im Bundesrat offen. Gabriel hofft, dass Schwarz-Gelb noch zu Korrekturen bereit ist und man sich „im Bundesrat einigen kann.“

In Ursula von der Leyens Arbeitsministerium schaut man dem Bundesratstermin gelassen entgegen. Wenn der Bundesrat blockiere, dann werde 2011 eben weiter der alte Satz ausbezahlt. Und dann muss, so das Kalkül, die SPD den 6,7 Millionen Hartz-IV-Empfängern erklären, warum sie keine 5 Euro mehr bekommen. Kanzlerin Merkel hat der SPD offiziell Gespräche angeboten.