Leiden. Lieben. Malen

Die Malerin Frida Kahlo hat früh das Interesse auf ihr Privatleben gelenkt. Die Ausstellung „Frida Kahlo und die Avantgarde“ im Hamburger Bucerius-Kunst- Forum will sie in einen künstlerischen Zusammenhang stellen – und bedient zugleich das voyeuristische Interesse am privaten Unglück

von MAXIMILIAN PROBST

Würde man ihr einen Mann an die Seite stellen wollen, der es mit ihrem Mythos, mit ihrer leidenschaftlichen und schicksalhaften Existenz aufnehmen könnte, müsste es schon Che Guevara sein. Und wie Che ist auch Frida mittlerweile eine Marke. Ihr Konterfei mit den großen Blumen in den hochgesteckten Haaren ziert Buttons, Taschen, Portemonnaies. Und wer bei dem Internetversand „amazon“ nach Büchern zu ihrem Werk sucht, findet erstmal Biographien, CD’s, DVD’s, schließlich ein Kochbuch: „Die Fiestas der Frida Kahlo – 145 Rezepte“.

Einen vorläufigen Höhepunkt erreichte ihre postume Popularität mit dem Hollywood-Epos „Frida“ vor drei Jahren. Seither ist man allgemein bestens informiert über ihr Leben, ihr Leiden, ihre Liebschaften und ihr Lebenselixier: die Malerei. Bilder von ihr haben allerdings die Wenigsten gesehen. Die deutschen Museen besitzen keine und was in den anderen europäischen Museen hängt, lässt sich an einer Hand abzählen. Ein Großteil ist im Besitz des Frida-Kahlo-Museums in Coyoacán, das ihr Mann Diego Rivera der Stadt unter der Bedingung vermacht hat, dass die Werke Mexiko nicht verlassen dürfen.

Es ist also schon ein kleines Ereignis, dass seit dem 15. Juni im Bucerius-Kunst-Forum die Ausstellung „Frida Kahlo und die Avantgarde“ läuft, ein Jahr vor ihrem 100 Geburtstag. Gerade ist sie verlängert worden, bis zum 24. September, denn die Besucherzahlen schlagen alle Rekorde: schon über 140.000 wurden gezählt. Rund 2200 Interessierte strömen Tag für Tag in die engen Räumlichkeiten – nicht ohne vorher bei Wind und Wetter lange Schlangen auf dem Rathausmarkt zu bilden. Berliner Verhältnisse.

Zu sehen ist eigentlich nicht viel: Wer eine Lücke zwischen zwei Rücken findet, blickt auf kleinformatige Kahlo-Bilder, die bisweilen flankiert werden von kleinformatigen Bildern europäischer Künstler. Dabei zeigt sich, dass Kahlo keineswegs – wie sie, aber auch die Surrealisten immer behauptet hatten – ihr Werk in völliger Unkenntnis des europäischen Kontexts schuf („Ich hatte keine Ahnung, dass ich surrealistisch male“), sondern die unterschiedlichen Avantgarden gezielt für ihre Kunst nutzbar machte. Neben dem Surrealismus zeigt sich vor allem die deutsche Schule der „Neuen Sachlichkeit“ als Inspirationsquelle. Überraschen können diese Bezüge aber nicht. Sie sind so augenfällig, dass selbst ein Laie nicht darüber hinweg sehen kann. Wenn sie bis heute nicht recht thematisiert worden sind, dann zeigt das nur, wie sehr Frida Kahlos Werk bislang im Schatten ihres Lebens stand.

Das ist zuallererst ihr eigenes Verdienst. Nicht nur machen Selbstportraits und Portraits von ihren Freunden und Bekannten ein Großteil ihres Werkes aus. Auch sonst haben die Sujets fast immer einen direkten Bezug auf ihre eigene Vita. „Malerin des Schmerzes“ betitelte sie ihr Biograph Hayden Herrera, und Schmerz fand sich in ihrem Leben genug. Im Alter von 6 Jahren erkrankt sie an Kinderlähmung. Mit 18 der tragische Busunfall, die vielen Operationen danach, die mehrfachen Fehlgeburten, Depressionen und Alkoholismus. Die Kunst figuriert vor diesem Hintergrund als Therapie. Kunst als Auseinandersetzung mit einem Schmerz, der sonst unerträglich wäre. Kunst als Sinngebung eines vollkommen Sinnlosen. Zu malen beginnt sie im Krankenbett.

Dieses Konzept von Kunst ist so klassisch, dass es jedem unmittelbar verständlich ist. Und hierin beruht primär die Popularität Frida Kahlos. Die Ausstellungsmacher im Bucerius-Kunst-Forum waren sich dessen wohl bewusst. Neben der komparatistischen Ausrichtung wird der Besucher mit allen biographischen Informationen versorgt, die fast allein schon Kahlo als Künstlerin ausweisen und zugleich unser voyeuristisches Interesse bedienen.

Wo Leben und Werk, Malen, Leiden und Lieben derart Hand in Hand gehen, kann der Betrachter eben nicht gut genug unterrichtet sein. Und so kann der Ausstellungstext auch die Mitgliedschaft der 15-jährigen Kahlo 1922 in einer Gruppe revolutionärer, junger Intellektueller nicht unkommentiert lassen: „Bis 1928 Liebesbeziehung mit deren Anführer“. Irgendwie ist das auch das volle Leben, was man da im Bucerius-Kunst-Forum zu sehen bekommt. Kein glückliches, aber das hat uns ja nie sonderlich interessiert. Und der Vorteil eines vollen Lebens: Es ist immer sehr anschaulich. Man kann so gut davon erzählen. Und das machen wir bestimmt alle, wenn wir wieder zuhause sind, in unserem glücklichen.