Kein Präzedenzfall

Betr: „Libanesische Familie bleibt getrennt“, taz nord vom 26. 8. 06

Hätte die Überschrift über den eindringlichen Bericht über Gazale Salames Lebensumstände nicht mindestens den Innenminister auffordern müssen, den von deutschen Behörden herbeigeführten rechtswidrigen Zustand endlich zu beenden? Stattdessen verschweigt die affirmative Formulierung die eklatante Menschenrechtsverletzung, die in der Abschiebung einer schwangeren Mutter mit Kleinkind bei Trennung von zwei weiteren Kindern und dem Vater liegt. Die Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte und des Bundesverfassungsgerichts sieht in einem solchen Verwaltungshandeln einen Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 GG und Art 8 Abs. 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention, die das Recht von Familien auf ein gemeinsames Leben garantieren – und zwar mit oder ohne Trauschein der Eltern [...]. Und dann die gern bemühte Angst deutscher Verwaltungen vor Präzedenzfällen. Der Sprecher des Ministeriums mag ja Recht haben, dass weitere 200 Fälle auf eine Bleiberechtsentscheidung warten. Das allein macht sie aber nicht zu Präzedenzfällen, also zu rechtlich und tatsächlich gleich gelagerten Fällen, die in gleicher Weise zu entscheiden wären. Im Gegenteil, die meisten liegen ganz anders! So sind z.B mindestens elf Familien in den Landkreisen Holzminden, Northeim und Hannover längst im Besitz gültiger Aufenthaltstitel – ohne dass der Innenminister interveniert hätte; so hat Ahmed Siala die libanesische Staatsangehörigkeit [...]. Und ganz unabhängig von der Präzedenzfrage hat Frau Salame vor allem aufgrund der oben zitierten Vorschriften das Recht, mindestens solange mit ihrem Mann und den minderjährigen Kindern in der Bundesrepublik Deutschland zu leben, bis Herrn Sialas Prozeß rechtskräftig abgeschlossen ist. MONIKA BERGEN, Glückstadt