„Macht ist weniger geworden“

Welche Entwicklung bildet die Kommunalwahl ab? Keine erkennbare für die großen Volksparteien, sagt der Göttinger Politologe Scott Gissendanner. Dafür aber den Trend zum bunten Gemeinderat

Interview vonBenno Schirrmeister

Was sagen Sie zur Wahlbeteiligung? Ist das für Sie erschreckend?

Scott Gissendanner: Mich beunruhigt das nicht. Eine niedrige Wahlbeteiligung kann schließlich auch Ausdruck dessen sein, dass die Leute zufrieden sind.

In den großen Städten lag die Beteiligung konsequent unter 50 Prozent. Das heißt: Selbst wenn ein Bürgermeister direkt gewählt wird, hat er gerade mal 20 Prozent Zustimmung. Ist das etwa kein Problem?

Für den Bürgermeister könnte das eine Machtminderung sein. Auf der anderen Seite muss es immer noch für diejenigen, die es geschafft haben, ein rauschhaftes Erlebnis sein: Die Bürgermeister und Landräte sind in ganz Deutschland die einzigen direkt gewählten Amtsträger. Diese direkte Legitimation wird, glaube ich, nicht abgeschwächt.

Ein Rausch auf so einer dünnen Basis ist aber nicht ganz ohne, oder?

Nach dem Rausch kommt oft der Kater – das ist die Überzeugungsarbeit. Die Bürgermeister müssen jetzt die Leute von den eigenen Qualitäten überzeugen.

Von Landtags-Grünen und FDP hieß es: Die niedrige Beteiligung sei Folge der großen Koalition im Bund …

Wenn dem so wäre, hätten die großen Volksparteien deutlicher verlieren müssen. Auch scheinen die Grünen und die FDP zwar durchgängig Gewinner zu sein. Aber nicht in extremem Maße.

Heißt also, wenn es ein Symptom der großen Koalition wäre, hätten die kleinen deutlicher zulegen müssen?

Genau. Und auch die Einzelbewerber und die Rechtsradikalen. Das kann man aber so nicht beobachten.

Also bleibt der Trend, dass es keinen Trend gibt?

Ja. Das ist allerdings noch zu stark fixiert auf die großen Volksparteien: Wenn man auf die kleinen Parteien schaut, denke ich, gibt es schon eine wichtige Tendenz, nämlich die Zerbröselung der Gemeindeparlamente in viele Fraktionen. Mit der Folge, dass die Zusammenarbeit zwischen Bürgermeister, Gemeinderat und Verwaltung erschwert wird. Es ist schwierig, eine politische Linie durchzuziehen. Macht im positiven Sinne, das heißt: Die Macht zu gestalten, ist weniger geworden auf lokaler Ebene.

Muss die Landespolitik jetzt Sofortprogramme zur Wählermobilisierung starten?

Da könnte ich einfach polarisierend zurückfragen: Was bringt denn mehr Partizipation? Wir haben heute mehr Mitbestimmung als jemals. Es gibt den direkt gewählten Bürgermeister und so viele Parteien in den Räten wie nie – es ist viel bunter als früher. Ich vergleiche Deutschland immer mit den USA – und da schneidet Deutschland sehr gut ab. Hier gibt es einfach mehr Wege, die Politik mitzugestalten.

Also braucht man gar nicht auf die Wähler einzuwirken, damit sie mehr wählen?

Ich sehe das zumindest nicht so. Was man aber vielleicht tun müsste, wäre die Gemeinden zu stärken, ihre Handlungsspielräume, ihre finanziellen Ressourcen. Ich komme mir fast vor, wie ein Vertreter des Städte und Gemeindebundes, wenn ich das sage. Aber wenn die Gelder da sind, kommen die Leute schon, um darüber mitzuentscheiden.

Die Prognose der Wahlergebnisse hat sich als schwierig erwiesen – es gab kaum eine Umfrage, die nicht mindestens zehn Prozentpunkte daneben lag. Woran liegt das?

Ich liebe solche Sachen, weil das die Schwäche der Meinungsforschung zeigt. Sie haben offenbar die tatsächlichen Wähler nicht identifizieren können. Möglich ist auch, dass die Leute sich tatsächlich erst in den letzten 24 Stunden festgelegt haben. Eine solche Wahl hat es ja in Niedersachsen noch nie gegeben – von daher kann es gut sein, dass die Wähler geschwankt haben zwischen normaler Parteibindung und dem Druck, die richtige Person zu wählen.

Man kann sich die teuren Studien aber sparen …

Wird man nicht machen, weil die Parteien das oft mitfinanzieren. Es ist ja auch interessant, das so vorauszusehen.

Aber Wahrheitswert hat das nicht mehr.

Wahrheit ist nicht so spannend. Wahrheit haben wir nach der Wahl.