Gespenstermaschine

Phantome der Medienkultur sichtbar machen: Mit der Ausstellung „No Matter How Bright the Light, the Crossing Occurs at Night“ verabschiedet sich Kurator Anselm Franke von den Kunst-Werken. Deren inhaltliche Ausrichtung wird so schemenhafter

„Programmatische Kohärenz hat in den KW keine Priorität mehr“, so Franke

VON KITO NEDO

„Manche muss man schon regelrecht in den Ausstellungsraum hineinschicken“, erzählt eine der Aufsichtskräfte im Untergeschoss der Kunst-Werke (KW). Viele Besucher müssten sich erst einen Ruck geben, um das spärlich beleuchtete Basement zu betreten, in dem die Gruppenausstellung „No Matter How Bright the Light, the Crossing Occurs at Night“ stattfindet. Kein Wunder: Ist man am Einlass vorbei, sieht man erst mal – nichts. Man muss schon einige Schritte in den kahlen Raum hinein tun, damit Lichter erst an- und dann wieder ausgehen, begleitet von einem satten, synthetischen Klicken und Klacken, das an das Einschnappen ominöser Relaisschaltungen denken lässt.

Es gehe um „unterschiedliche Aspekte des Gespenstischen“, so hieß es in der Einladung. Eine Kunstausstellung als Geisterbahn? Hat Anselm Franke, der die Präsentation über zwei Jahre gemeinsam mit den Berliner Künstlerinnen Natascha Sadr Haghighian, Judith Hopf, Deborah Schamoni und Ines Schaber erarbeitete und sich nun nach mehreren Jahren freier und zwei Jahren offizieller Kuratorentätigkeit von den KW verabschiedet, die Kunstinstitution zum Haunted House umgebaut? Und sie so mit einem letzten Fluch belegt?

Die Antwort lautet: Nein. Dem Kurator ging es nicht darum, auf die letzte Romantik- und Gothicwelle aufzusatteln, sondern um den Kunstraum als eine Art „Gespenstermaschine“: ein Raum, der Phänomene sichtbar macht, die sich der bloßen Beschreibung mittels Bildern und Texten entziehen. Fotografie und Video sind für diese Art der Geisterforschung geeignete Mittel: Spätestens seit Walter Benjamin ist bekannt, dass die Kamera weit mehr sieht als das menschliche Auge. Auf der anderen Seite werden heutzutage auch gerade diese Medien genutzt, um große Teile der gesellschaftlichen Realität einfach auszublenden.

Die Displayarchitektur im großen Ausstellungsraum wird von einem großen rechteckigen Podest in Hüfthöhe, drei Projektionsflächen und einem schwarzen, Gaze-artigen Vorhang bestimmt. Durch diese Architektur bewegt man sich nicht ganz frei: Eine computergesteuerte Licht-und Videochoreografie übernimmt die Führung, weil sie bestimmt, welche Arbeiten wann betrachtet werden können. So kann man in den Lichtphasen die locker an die Wände gelehnten Fotografien aus der Serie „Picture Mining“ (2005) von Ines Schaber betrachten, die dem Werk des Dokumentarfotografen Lewis W. Hine nachspüren. Schaber reiste in ein ehemaliges Minenstädtchen in West-Pennsylvania, in dessen stillgelegten Stollen der zu Bill Gates’ Imperium gehörende Bildverwerter Corbis seine Originale lagert – auch Hines sozialkritische Aufnahmen von Kinderarbeit am Anfang des 20. Jahrhunderts. Während deren digitale Kopien durch die globalen Mediennetzwerke zirkulieren, sind die Kinderbilder nun wieder unter Tage: eine gespenstische Koinzidenz.

An einer anderen Art von Medienarchäologie arbeiten die Künstlerinnen Judith Hopf und Deborah Schamoni, die mit „Hospital Bone Dance“ (2006) ein siebenminütiges Video in einer Krankenstation gedreht haben: Gipsbeinige, Mullbindenmumien und Skelettkostüme tragende Gestalten tanzen umher, als befänden sie sich nur eine Etage unter dem Weekend-Club. „Hospital Bone Dance“ vereint die Ästhetik des klassischen Autoren-Musikvideos mit der einer Krankenhaus-Vorabendserie: Überraschende visuelle Reize – etwa die Michel Gondry zitierenden Skelette – treffen auf eine konstruierte „Gesellschaft im Kleinen“, deren vermeintlich klare Einteilungen (krank/gesund, Arzt/Patient) durch ein surrealistisches Szenario lustvoll gebrochen werden. Das in Los Angeles entstandene Video „Villa Watch“ (2005) von Hopf und Haghighian kann als bissiger Kommentar zur inhaltslosen Medienpraxis der Nachrichtenkanäle gelesen werden: Selbst wenn überhaupt nichts passiert, muss darüber live berichtet werden.

Als Ziel seiner Arbeit nennt der scheidende Kurator Franke, der unter anderem für die Ausstellung „Territories. Islands Camps and Other States of Utopia“ (2003) oder „B-Zone – Becoming Europe and Beyond“ (2005/2006) verantwortlich zeichnete, die Inspiration von komplexeren Denkvorgängen beim Publikum, „nicht nur die Produktion ästhetischer Erfahrungen“. In den Berliner Kunstinstitutionen mache einen eine solche Philosophie fast zum Einzelgänger. Auch in den Kunst-Werken habe es für eine solche Position zunehmend weniger Spielraum gegeben, was zu seinem Abschied geführt habe.

„Die Kunst-Werke haben sich in den letzten Jahren von einem stetig wachsenden Provisorium durch den administrativen Überbau zu einer überkontrollierten Institution entwickelt, in der eine programmatische Kohärenz und Kontinuität keine oberste Priorität hat“, fasst Franke die internen Verwerfungen zusammen. Mit seinem Weggang ist die Dreierkonstellation von KW-Chefin Gabriele Horn, Presseleiter Markus Müller und Kurator Franke, die sich 2004 nach dem Wechsel von KW-Mitbegründer Klaus Biesenbach ans New Yorker MoMA etabliert hatte, gescheitert. Welchen Weg die Institution nun einschlagen wird, woher die dringend benötigten programmatischen Impulse kommen werden, ist bislang unklar. Bleibt zu hoffen, dass die ehemalige Margarinefabrik in Mitte auch nach Frankes Abgang künftig von einem kritischen Geist heimgesucht wird.

Bis 12. 11.: KW, Auguststr. 69, Di.–So. 12–19 Uhr, Do. 12–21 Uhr. Begleitendes Filmprogramm im Kino Arsenal