Normalzeit
: HELMUT HÖGE über Widerstandsnester

„Für viele wird das Schicksal jetzt schwer. Wir rufen ihm zu: ‚Kämpf mit uns, komm her!‘“ (Rote Fahne)

Das tat mal wieder gut: Laubfrösche, Grillen, Libellen und Wildgänse. Die Biologin Hannelore Gilsenbach hatte ins Naturschutzgebiet Plagefenn bei Chorin geladen, zu den „4. Brodowiner Gesprächen“. Zuvor hatte ihr 2001 verstorbener Mann, der Biologe Reimar Gilsenbach, jahrelang diese „Gespräche“ bei sich im Landhaus organisiert. „Er prägte die unabhängige DDR-Umwelt- und Friedensbewegung maßgeblich mit“, heißt es bei Wikipedia.

Bei diesem neuen Brodowiner Gespräch nun ging es um „Widerstand: Wie weiß man, wann er keinen Sinn mehr hat, und was ist die Rechtfertigung für Widerstand?“ Dazu war der englische Schriftsteller Michael Gromm geladen, der sich 13 Jahre lang am Widerstand des sorbischen Dorfes Horno gegen dessen Zerstörung durch die Braunkohlebagger des Energiekonzerns Vattenfall beteiligte. Er veröffentlichte Ende 2005, als nur noch das Ehepaar Domain im bereits zerstörten Dorf ausharrte, ein dickes Buch mit dem Titel „Horno. Verkohlte Insel des Widerstands“.

Wenig später gab auch das Gärtnerehepaar Domain auf und stimmte vor dem Oberverwaltungsgericht einem Vergleich mit Vattenfall zu. Sie waren nun ebenfalls beim nächtlichen Brodowiner Gespräch dabei – zusammen mit der Sängerin Barbara Thalheim und dem Akkordeonisten Jean Pacalet.

Zuerst einmal wurde eine Unterscheidung gemacht zwischen einem Widerstand, der aus Aktionen von Individuen besteht – wie er sich zum Beispiel gerade in der Brodowiner Nachbarschaft formiert gegen die Stilllegung der Bahnstrecke nach Joachimsthal –, und dem Widerstand einer Gemeinde oder Belegschaft, die man unterstützt – unter anderem wurden die Obstbauerndörfer im Alten Land bei Hamburg erwähnt, die sich gegen eine Erweiterung der Landebahn des dortigen Flughafens für den neuen Riesenairbus wehren. Während die Individuen sich auf Ziele einigen, findet die Gemeinde ihre Rechtfertigung in sich selbst.

Weil Michael Gromm die Diskussion darüber mit einer Lesung aus seinem Horno-Buch begann, ging es dann immer wieder um die Reaktionen von Politikern und Gerichten auf Widerstand, der sich unter anderem auch dagegen richtet, dass die Privatinteressen der Wirtschaft gerne mit dem Allgemeinwohl verwechselt werden. Im Falle Hornos, das heißt im Osten, war das verlogene Stichwort Arbeitsplatzerhaltung das Totschlagargument: Genutzt wurde es von Gewerkschaften und Parteien, von Gerichten, dem Bergamt und der Konzernzentrale, die in Cottbus auch noch sinnfällig im selben Gebäudeensemble residierten.

Hier hatte der Domain-Anwalt Dirk Teßmer keine Chance. Wohl aber im Westen beim Braunkohlefall Garzweiler II, wo der letzte betroffene Kläger Ende Juni vor dem Bundesverwaltungsgericht Recht bekam: Auch sein Grundrecht stellt ein öffentliches Interesse dar. Deswegen „kann ein großflächiger Tagebau“, so das Gericht, „nicht aufgrund eines Rahmenbetriebsplans und jeweils kurzfristig wirkender Hauptbetriebspläne ins Werk gesetzt werden, ohne dass die Bergbehörde zuvor festgestellt hätte, dass dem Vorhaben insgesamt keine öffentlichen Interessen entgegenstehen“.

Im Falle Horno hatte die Bergbehörde aus dieser Prüfung dagegen eine Farce gemacht – wobei alle Gerichte mitspielten. Denn sie gingen stets davon aus, dass die Grundrechte der Betroffenen ja im Enteignungsverfahren Rechtsschutz genießen. Dann ist es aber zu spät!

Bei dem Brodowiner Gespräch kam Hannelore Gilsenbach abschließend dann noch auf den „Widerstand eines Einzelnen“ zu sprechen, der laut Reimar Gilsenbach eine „moralische Pflicht“ sei – „vor allem für Schriftsteller und unabhängig von Mehrheiten“.