Gehirn will gewaschen sein

Der Papst weilt zurzeit in seiner irdischen Heimat Bayern und macht so dies und das. Beispielsweise spricht er vor der Öffentlichkeit. Und die Medien hören gut zu. Aber was geht uns das eigentlich an?

VON JAN FEDDERSEN

Der Führer einer zugegebenermaßen mitgliederstarken religiösen Orientierung reist gern; der amtierende nicht so häufig wie sein verstorbener Vorgänger, ein Mann von offenkundig touristischer Sehnsucht – aber doch: Seit dem Wochenende weilt der frühere Kardinal Ratzinger in seiner irdischen Heimat namens Bayern und macht so dies und das. Beispielsweise spricht er vor der Öffentlichkeit; sein Publikum ist groß, gut sechsstellig an der Zahl. Das mag schön sein, ja gewaltig, aber geht das uns an?

Diaspora fast überall

Wen interessiert das, wer just nun diesem Glauben nicht anhängt? Im Osten unseres Landes, klarer Fall, wo, so klagen viele Christen, eine Diaspora sich ausbreitet wie seit den Jahren vor der Vertreibung aus Ägypten nicht mehr. Oder im Norden, von Kassel bis Flensburg, wo das christlich gläubige Volk eher lutherisch, jedenfalls evangelisch bedient wird, also antipäpstlich, sonst hätte es aller mittelalterlichen Religionskriege ja nicht bedurft, um unsere Welt etwas friedlicher zu kriegen.

Es ist immer schön, wenn Menschen unser Land genießen, frohlocken ob der Gastgeber wohl auch, weil die nun einmal gern Besuch haben, neulich erst wieder zur Fußball-WM. Aber weshalb, möchte man dann doch leicht erbost fragen, muss dieses Gastspiel öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten Sonderübertragungen wert sein? Warum kommentieren fast alle Medien den privat angehauchten Papsttrip (Bruder mal wiedersehen wollen!, die Heimat nicht aus dem Blick verlieren!, für die letzten Jahre des Lebens ein wenig Rückschau halten!) so, als berge er eine Botschaft über die Sekte der Katholiken hinaus?

Warum brezeln sich vor allem Journalisten des Bayerischen Rundfunks auf, als begegne ihnen der Allmächtige? Aus welchem Grund trillern und trällern ARD-Korrespondenten wie Michael Mandlik ein Promotionsliedchen im Geiste nur dieser Glaubensrichtung?

Devoter Mainstream

Man fasst es nicht: Das Oberhaupt einer Religion, die aus verständlichen Erwägungen weitgehend einflusslos auf das staatliche Geschehen zu bleiben hat (Inquisition dereinst, Bevormundung der BürgerInnen in jeder Hinsicht, ihre aktuelle Haltung zu Aids, Empfängnisverhütung, Schwangerschaftsabbruch), hält es nicht auf den römischen Amtssesseln und guckt sich in der Welt um.

Was sein gutes Recht ist – und halb Deutschland tut so, als müsse ihm Beachtung geschenkt werden. Und fragt sich: Müssen wir demnächst mit ähnlich umfassender, gehirnwäscherischer Berichterstattung rechnen, kommt mal ein Rabbi aus Jerusalem, ein Imam arabischer Provenienz oder der Präsident des Lutherischen Weltbundes in dieses Land? Nein, natürlich nicht. Das wird dann, so viel Prophetie darf sein, unter medial ferner liefen abgehakt – und der Unterschied erklärt sich aus dem, was zeitgeistig gern in katholischen oder evangelischen Akademien so verhandelt wird: dass die westliche Welt eine kalte sei, die Zivilisation allenfalls eine technische, nichts für empfindsame Seelen, die der Erweckung bedürfen – der Stoff, aus dem die „Stoßseufzer bedrängter Kreaturen“ sind. Auf diese These kann sich der Hauptstrom mitteleuropäischer Intelligenzija verständigen – auch um sich selbst den islamofaschistischen Horror begreiflich zu machen: Der 11. September als Chiffre für die bösen Zeiten, die uns drohen, wenn wir weiter so kühl areligiös weitermachen – eine Art jüngstes Gericht für den Geschmack des bedenkenträgerischen Publikums, das sich Erbauung verspricht und nicht toleriert, dass ebendiese Erhabenheit nicht von allen gewünscht wird.

Missionswahn

Die Wahrheit, die immer eine relative sein muss, jedenfalls keine absolute in irgendeinem religiösen Sinne, scheint doch: Deutschland ist womöglich gerade ein friedliches Land, weil irgendwelche Sekten hier nichts mehr im Großmaßstäblichen zu bestellen haben können. Allenfalls dürfen sie Besitzstände wahren, müssen sich aber gefallen lassen, dass diese in Frage gestellt werden (Nonnentracht an christlichen Schulen, Pflichtreligionsunterricht). Es lebt sich so friedlich, weil das Grundgesetz, seit 1949, religiös sich blind stellt. Was eineR meint, was eineR fühlt, ist einerlei – es sei denn, es betrifft aktuelle Strafgesetze. Kurzum: Es wird nicht zu wenig an Gott geglaubt, sondern zu viel. Wir haben nicht zu wenig Kirche, sondern immer noch zu viel, vor allem die katholische in ihrer offenen Absicht, die Welt nach ihren Wünschen zu missionieren.

Der Papstbesuch in Bayern ist ein Lehrstück, wie eine christliche Gruppe über eine monströse Inszenierung – besorgt von Helfershelfern und Sympathisanten mit Gebührengeldern finanzierten Sendern – versucht, sich unseligen Einfluss zu verschaffen. Ein Debakel für auf Neutralität bedachte BürgerInnen.