Al-Qaida droht zum Jahrestag mit Gewalt

Neue Videos nehmen den Westen, die Golfstaaten, Israel und die UN-Soldaten im Libanon ins Visier. In New York gedenken die Menschen der Opfer der Anschläge vom 11. September 2001. Kofi Annan: Die Bedrohung durch Terrorismus ist gestiegen

DUBAI/NEW YORK/HELSINKI rtr/dpa/afp ■ Zum fünften Jahrestag der Anschläge in den USA vom 11. September 2001 hat al-Qaida mit neuer Gewalt gedroht. Ziele seien die USA, die Staaten am Golf und Israel, erklärte Al-Qaida-Vizechef Aiman al-Sawahri in zwei gestern in Auszügen ausgestrahlten Videobotschaften. Zunächst werde der Westen zum Rückzug aus der Golfregion gezwungen, dann sei Israel an der Reihe, hieß es in dem vom Fernsehsender al-Dschasira gezeigten Film. Viele Golfstaaten arbeiten mit den USA zusammen.

In einem auszugsweise vom Sender CNN ausgestrahlten Video rief die rechte Hand von Al-Qaida-Chef Ussama Bin Laden die Muslime auf, ihre Angriffe auf die USA und den Westen zu verstärken. „Neue Ereignisse“ würden vorbereitet. Die Botschaft sei auf islamistischen Websites im Internet zu finden.

In der von al-Dschasira gezeigten Botschaft machte Sawahri die mit den USA verbündeten Regierungen Ägyptens, Jordaniens und Saudi-Arabiens für den Tod von Muslimen verantwortlich. „Israel kann nur deshalb den Libanon und den Gaza-Streifen dominieren, weil Ägypten sich aus dem Konflikt mit Israel völlig zurückgezogen hat.“ Die im Libanon stationierten UN-Soldaten wurden als „Feinde des Islams“ bezeichnet und damit erstmals indirekt bedroht.

In New York versammelten sich gestern Morgen tausende Angehörige der Opfer der Anschläge auf das World Trade Center am Ground Zero. Die Gedenkfeiern begannen um 8.46 Uhr Ortszeit mit einer Schweigeminute. Zu dem Zeitpunkt war am 11. September 2001 das erste Flugzeug in den Nordturm gerast. Ehe- und Lebenspartner der Opfer verlasen alphabetisch die 2.749 Namen der Toten.

Angehörige konnten währenddessen am Fundament der Zwillingstürme Blumen niederlegen. Dort wurden zwei Wasserbecken aufgebaut, die die Zwillingstürme symbolisieren. Drei weitere Schweigeminuten erfolgten zum Zeitpunkt des Aufpralls der zweiten Maschine auf das WTC um 9.03 Uhr, der Einsturz des WTC-Turms um 9.59 Uhr sowie der Einsturz des WTC-Nordturms um 10.29 Uhr. Während der Schweigeminuten läuteten New Yorks Kirchenglocken. An den Trauerfeierlichkeiten nahmen auch US-Präsident George W. Bush und seine Frau Laura Bush teil. Auch in zahlreichen anderen Ländern wurde gestern der Opfer der Anschläge von New York und Washington gedacht.

UN-Generalsekretär Kofi Annan erklärte, in den fünf Jahren nach den Anschlägen in New York und Washington sei die Bedrohung durch den Terrorismus gestiegen. „Man kann nicht sagen, dass man heute sicherer lebt“, sagte Annan der Zeitung Le Parisien. Die Staatschefs der Länder des Nahen Ostens, die Annan in der vergangenen Woche besuchte, befürchteten eine weitere Zunahme der terroristischen Gefahr. In einer Erklärung der finnischen EU-Ratspräsidentschaft hieß es, der Terrorismus bedrohe „alle Staaten und Völker“. Er sei eine ernsthafte Gefahr für die Sicherheit, die Werte der demokratischen Gesellschaften und für die Rechte und Freiheiten der Menschen.

Der afghanische Präsident Hamid Karsai würdigte die Opfer im Namen seines Landes. „Wir verstehen, welchen enormen Verlust Sie an jenem Tag erlitten, weil wir auch lange unter dem Terrorismus gelitten haben“, erklärte er. An die US-Bürger gewandt äußerte Karsai im Namen seiner Landsleute Anerkennung „für die Opfer Ihrer Söhne und Töchter in Afghanistan“.

Neuseelands Regierungschefin Helen Clark zog eine gespaltene Bilanz: Der Sturz des Taliban-Regimes in Afghanistan sei „absolut richtig“ gewesen, der Irakkrieg aber ein Fehler. Im Gegensatz zur Zeit vor der US-geführten Invasion vor drei Jahren sei der Irak heute ein Zufluchtsort für Terroristen. „Nein, wir sind nicht viel sicherer seit dem 11. September“, sagte sie.