Deutsche wollen Binalschib nicht verhören

Der Chefplaner der Anschläge von New York und Washington am 11. September gehörte zur Hamburger Terrorzelle und sitzt seit einigen Tagen in Guantánamo. Deutschland schickt aber wohl keine Ermittler ins Gefängnis nach Kuba

FREIBURG taz ■ Seit einigen Tagen hat Ramsi Binalschib, der Koordinator der Anschläge vom 11. 9. 2001, wieder einen bekannten Aufenthaltsort: das US-Lager Guantánamo. Werden nun deutsche Ermittler dorthin reisen, um die Schlüsselfigur der Anschläge endlich persönlich vernehmen zu können?

„Nein“, sagte Jörg Ziercke, der Chef des Bundeskriminalamtes, am Wochenende zur taz, „wir haben keinen derartigen Ermittlungsauftrag der Generalbundesanwältin.“ Auch Monika Harms, die seit Juni amtierende neue Generalbundesanwältin, will erst mal abwarten, was die Amerikaner jetzt machen. Immerhin hat US-Präsident George Bush angekündigt, die 14 Personen, die jetzt aus geheimen CIA-Gefängnissen nach Guantánamo gebracht wurden, würden bald wegen Kriegsverbrechen vor Gericht gestellt.

Der Jemenit Binalschib lebte jahrelang in Hamburg und war Mitglied der Terrorzelle um Mohammed Atta. Er war wohl das entscheidende Bindeglied zu al-Qaida. Er soll Atta die Ziele genannt haben und Ussama Bin Laden über das konkrete Datum der Anschläge informiert haben. Er soll die weltweiten Finanzströme kontrolliert und die Unterstützer koordiniert haben. In Deutschland läuft gegen ihn seit Ende 2001 ein Ermittlungsverfahren wegen Mordes in mehr als 3.000 Fällen sowie Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung. Wahrscheinlich gibt Harms aber einer Strafverfolgung in den USA Vorrang, weil die allermeisten Toten im World Trade Center und im Pentagon US-Amerikaner waren.

Ramsi Binalschib war am 11. 9. 2002, also genau ein Jahr nach den Anschlägen, im pakistanischen Karatschi festgenommen worden. Deutschland verzichtete damals sofort auf eine Auslieferung zugunsten der USA. Vermutlich ahnte in der Bundesregierung niemand, dass Binalschib damit erst einmal für fast vier Jahre völlig verschwinden würde. Die USA verhörten ihn an unbekanntem Ort mit vermutlich folterähnlichen Methoden.

Für die Hamburger Prozesse gegen die als Terrorhelfer angeklagten Atta-Freunde Mounir al-Motassadeq und Abdelghani Mzoudi hatte das Folgen. Binalschib stand als wichtiger Zeuge nicht zur Verfügung, und die Verhörprotokolle, die die USA deutschen Sicherheitsbehörden gaben, waren zunächst gesperrt. Erst spät erhielten die Richter eine Zusammenfassung der US-Aufzeichnungen, die die Angeklagten eher entlasteten. Der Bundesgerichtshof (BGH) entschied, dass die mangelnde Kooperation der Amerikaner nicht zu Lasten der Angeklagten gehen dürfe. Eine erste Verurteilung von Motassadeq zu 15 Jahren Haft hob der BGH auf, über die zweite Verurteilung zu 7 Jahren Gefängnis wird im kommenden Oktober entschieden. Mzoudi ist inzwischen sogar rechtskräftig freigesprochen. Weitere Prozesse wegen des 11. 9. stehen in Deutschland nicht an.

Verfassungsschutz und Bundesnachrichtendienst hatten im September 2002 in Guantánamo den Deutschtürken Murat Kurnaz befragt. Die Umstände dieser Befragung werden demnächst im Untersuchungsausschuss des Bundestags geprüft. CHRISTIAN RATH