Kampf der Statistiker

AUS BERLIN CHRISTIAN FÜLLER

Heute ist wieder Kampftag. Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) bringt „Bildung auf einen Blick“ heraus. Und weil Deutschland in dieser kleinen Pisa-Studie immer schlecht abschneidet, gibt es interessante Ausweichmanöver zu beobachten.

Die Bild-Zeitung bringt, endlich!, jene Erfolgsmeldung auf Seite 1, welche die CDU-Kultusminister seit fünf Jahren verkaufen wollen, die 84-prozentige Bildungsbeteiligung nämlich (siehe Interview). Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) bleibt lieber fern. Und das Statistische Bundesamt ergänzt die Zahlen der OECD schon einen Tag später mit eigenen Daten. Um sie zu illustrieren? Oder zu kontern? Um Verwirrung zu stiften?

„Wir wollen den Bundesländern zeigen, wo sie stehen“, heißt es ganz unschuldig bei den Wiesbadener Herren und Damen der Zahlen. Sie wollen ihr Material auf jeden Fall unter Verschluss halten. Nun sind ein paar Daten durchgerutscht. Und nun weiß man, was man ahnte: Nichts hat sich grundlegend verbessert. Deutschlands Kennziffern bewegen sich minimal nach oben oder bleiben gleich.

Beispiel 1: Hochschulabsolventen. Ächzend hat sich Deutschland da hochgearbeitet, von 19,3 Prozent eines Jahrgangs auf 20,6 Prozent. Es geht bergauf, keine Frage – nur ist der Gipfel so weit weg, dass man ihn bestenfalls im Nebel erkennen kann. 32 Prozent Hochschulabsolventen gibt es im OECD-Durchschnitt.

Beispiel 2: Bildungsausgaben. Die hören sich gigantisch an, 120 Milliarden Euro schießt das Land jedes Jahr in seine Bildungseinrichtungen. Aber auch hier wird die Zahl kümmerlich, wenn man sie in den Kontext stellt. Nur 5,7 Prozent seines Bruttosozialprodukts gibt Deutschland für Bildung aus. Im Vergleich: Staaten wir Norwegen, Schweden, die USA oder auch Japan bewegen sich auf Höhe von 7 Prozent. Die Differenz sieht marginal aus, ist aber gigantisch. Berechnet auf das Sozialprodukt, würden die 1,3 Prozentpunkte 30 bis 40 Milliarden Euro mehr für Kindergärten, Schulen und Hochschulen ausmachen. Keine Peanuts.

Beispiel 3: Abschlüsse in der beruflichen Bildung. Hier wird es richtig unangenehm. Die Zahl derer, die noch keinen beruflichen Abschluss vorweisen können, steigt in den jüngeren Altersgruppen kontinuierlich an. Ähnlich wie schon das Institut der deutschen Wirtschaft Alarm schlug, deutet das auf einen steten Niedergang des einstigen Paradestücks des deutschen Bildungssystems hin, der beruflichen Bildung.

Ein Viertel derjenigen, die sich in der Lehre, in überbetrieblichen Ausbildungen oder auch in den vielen Warteschleifen aufhalten, bricht diesen Weg ohne Erfolg wieder ab. Das ist deswegen so schlimm, weil das Azubiwesen traditionell dazu da war, die Absolventen der niederen Bildungsgänge Sonderschule und Hauptschule aufzunehmen. Das funktioniert offenbar nicht mehr. Die Lehrlinge aus diesen Schulen werden immer weniger, immer älter, sie scheitern immer öfter.

Was kann man dagegen tun? Experten wie der Präsident der Freien Universität Berlin, der Erziehungswissenschaftler Dieter Lenzen, fordern ein entschiedenes Umsteuern – und richtig viel Geld. Auf 30 Milliarden Euro bezifferte Lenzen kürzlich den Investitionsbedarf im Bildungssektor insgesamt. Doch woher nehmen?

In der bildungspolitischen Debatte taucht ein ganz neues Gespenst auf – das des Sparens. In wenigen Jahren beginnen die geburtenschwachen Jahrgänge in die Schulen einzurücken. Schon rechnen etwa die Gutachter der Bosch-Stiftung, wie viel sich da sparen ließe: an Schulen, Lehrpersonal und -material. Auf 80 bis 100 Milliarden Euro haben Experten der Stiftung den Überschuss hochgerechnet. Schon leuchten die Dollarzeichen in den Augen der Finanzminister. Mal sehen, ob der OECD dazu was einfällt.