AMERICAN PIE
: Der permanente Prototyp

NACHRUF George Blanda spielte nicht nur so lange Profi-Football wie niemand sonst – er hatte auch einen gesegneten Sinn für Dramatik

Als der alte Mann gegangen war, da waren sich alle einig: Solche wie er, die werden nicht mehr hergestellt heutzutage. So stabil, so langlebig, so unverwüstlich. George Blanda wurde 83 Jahre alt. Am Montag starb er nach kurzer Krankheit. Mit ins Grab nimmt er eine einmalige Ausdauer als Footballspieler.

Blanda war der älteste Spieler, der jemals in einem Spiel der National Football League (NFL) auflief. Niemand hat so viele Jahre professionellen Football gespielt, nämlich insgesamt 26 – fünf mehr als jeder andere.

Als Blanda seinen letzten Auftritt in der NFL hatte, in einer Liga, in der eine Karriere durchschnittlich gerade mal zwei bis drei Jahre dauert, da war er genau 48 Jahre und 109 Tage alt. Es war am 4. Januar 1976, ein Halbfinale in Pittsburgh. Blanda trat an zu einem Fieldgoal und traf, aber seine Oakland Raiders verloren trotzdem 10:16 und verpassten die Super Bowl.

In der war Blanda immerhin einmal angetreten, nämlich bei der zweiten Auflage im Januar 1968. Damals aber war die Super Bowl lange noch nicht die weltweite Bühne, die sie heute ist, sondern nur ein von den Medien und Spielern eher ungeliebtes Anhängsel an die Saison, ausgespielt zwischen den Meistern der beiden konkurrierenden Profiligen NFL und American Football League (AFL), die sich 1970 zur heutigen NFL vereinigen sollten.

Es waren aufregende Zeiten im Profi-Football, Pionierzeiten, und Blanda war mittendrin: Er spielte für die Chicago Bears in der NFL, für die Houston Oilers in der aufstrebenden AFL, schließlich für die Raiders in der vereinigten Liga.

In den letzten Jahren war Blanda nahezu ausschließlich als Kicker aktiv, aber lange prägte er als Quarterback das Spiel seiner Teams. Für die Bears spielte er eine Zeit lang sogar noch parallel in der Verteidigung. Für die Oilers warf er einmal sieben Touchdowns in einem einzigen Spiel und gewann mit ihnen zwei Mal die AFL-Meisterschaft. Doch ins amerikanische Gedächtnis brannte er sich 1970: Die Raiders hatten Blanda vor der Saison eigentlich schon ausgemustert, ihn dann aber doch als Kicker und Ersatz-Quarterback verpflichtet. Als sich der eigentlich als Quarterback vorgesehene Daryle Lamonica verletzte, musste der damals schon 43-Jährige einspringen und lieferte eine Serie von fünf Spielen hintereinander ab, wie man sie noch nie gesehen hatte: Er versenkte Fieldgoals in letzter Sekunde und drehte Spiele kurz vor Schluss, ein Sieg geriet dramatischer als der vorherige. Der heute legendäre Trainer John Madden, damals neun Jahre jünger als Blanda, schickte den alten Mann immer dann als Feuerwehr aufs Feld, wenn die Raiders zurücklagen, obwohl Lamonica längst wieder gesund war. Es war ein Märchen, wie es die Amerikaner lieben, und als Blanda, der Sohn eines aus Tschechien eingewanderten Bergarbeiters, wieder einmal die Kohlen aus dem Feuer geholt hatte, brüllte der Radiokommentator: „George Blanda wurden soeben zum König der Welt gewählt!“

Natürlich würdigte auch NFL-Chef Roger Goodell den König der Welt. Der Boss der umsatzstärksten Liga der Welt lobte Blandas viele Talente und seinen „Sinn für die Dramatik“, die „wichtig war in einer Periode des Wachstums unseres Sports“. So kann man es auch sagen: Schließlich waren es Männer wie Blanda, die den Aufstieg der NFL zum Milliardengeschäft erst möglich gemacht haben. Dafür hielten sie ihre Knochen hin für den Bruchteil des Geldes, das ihre Nachfolger oder einer wie Goodell heute verdienen. Blanda hat das besser verkraftet als die allermeisten seiner Kollegen. So einer wurde eben nur einmal hergestellt. Kein Auslaufmodell, aber doch ein Prototyp, der niemals in Serie ging.THOMAS WINKLER