Ziellos wie Bombensplitter

Eine zotengeladene Komödie um Körperkult, Gymnastikbälle und Liebe mit dicken Menschen: Das Theater am Alten Markt Bielefeld inszeniert Neil LaButes „Fettes Schwein“ witzig, aber ohne Tiefe

VON HEIKO OSTENDORF

Wer nicht schnell genug die Fernbedienung zu fassen bekommt, muss den vom nichtvorhandenen Kaloriengehalt einer Cola-Light provozierten manischen Ausbruch eines jungen Mannes über sich ergehen lassen. Führt Schlankheitswahn mit seinen rund um die Uhr geöffneten Fitness-Studios zur sinnlosen Ekstase? Helen kennt dieses Gefühl nicht. Sie lungert stattdessen in einem Stehrestaurant rum, verdrückt neben Pizza und Spaghetti noch genüsslich ihren Nachtisch. Der US-amerikanische Dramatiker Neil LaBute setzt sich mit „Fettes Schwein“ nach „Maß der Dinge“ zum zweiten Mal auf die Fährte des Körperkults der westlichen Welt.

Und wieder ist es eine Liebesgeschichte, die er auf diesem Fundament errichtet. Tom verknallt sich in die stark übergewichtige Helen, stört sich nicht an ihren Pfunden und ihrer Essleidenschaft. Der Witz, die Cleverness und die Schlagfertigkeit der Frau gefallen ihm. Dabei ist der Anzug tragende Business-Man von der political correctness der Gesellschaft dermaßen verwirrt, dass er in fast jedem seiner Sätze Anspielungen auf das Körpervolumen Helens argwöhnt und sie folglich lieber unvollendet lässt. Das macht ihn zum Clown und die Dialoge zum Gag-Feuerwerk.

Im Bielefelder Theater am Alten Markt richtet Regisseur Christian Schlüter zum Spielzeitauftakt sein ganzes Interesse auf die Komödie in dem Stück. Jeder Satz ein Lacher, jeder Witz ein Treffer. Wie Splitter von explodierenden Streubomben fliegen die Pointen von der Bühne ziellos Richtung Zuschauerraum. Dabei hat das Drama einen durchaus ernsthaften, fast schon traurigen Unterton, bekommt Tom doch von seinem Arbeitskollegen Carter und seiner Ex-Freundin Jeannie die Dickendiskriminierung nur so um die Ohren gehauen. Das macht den Neuverliebten noch nervöser. Er versteckt seine Beziehung, traut sich mit ihr nicht unter Leute.

So liegt das ungleiche Paar im Bett. Sie sieht fern, er versucht sie zu verführen. Auf dem Bettbezug ist eine Zielscheibe gemalt – als ob an der Opferrolle noch Zweifel bestanden hätten. Als sich die Kulisse dreht, sieht man Carter onanieren und Jeannie einsam auf einem Gymnastikball herumhüpfen. Überhaupt teilt die von Julia Hattstein nüchtern eingerichtete Drehbühne die Welt in zwei Lager, zwischen denen Tom hin und her gerissen ist. Als dann zur letzten Szene die trennende Wand zu einem Stapel zusammenfällt, ist das Schicksal der Liebe besiegelt.

Dass diese Liaison nie eine Zukunft hatte, überrascht nicht, da die Inszenierung von Anfang an klar stellt, auf welcher Seite Tom steht. Der Gymnastikball fungiert als hyperrückenschonender Schreibtischstuhl, und beim gemeinsamen Strandausflug verliert sich Tom in fast schon patzigen Sit-Ups und Liegestützen. Zwar sagt er am Ende, er wäre gerne ein besserer Mensch, der einen Dreck auf das Gerede der Leute gibt. Doch der ist er nicht, und wird er auch nicht. Es ist nur jemand, der den richtigen Weg verloren und am Ende wieder gefunden hat.

Schlüter lässt nicht für den Hauch eines Moments das Gefühl aufkommen, dass hier etwas falsch läuft. Ganz stringent steuert er in seiner Interpretation auf die scheiternde Beziehung zu, jede Nachdenklichkeit erstickt in der Lächerlichkeit der Zoten Carters, der mit dem Gymnastikball anstößig den Sex mit einer Dicken imitiert. Mehr als eine Unflätigkeit ist das nicht – so wie der ganze Abend. Der besticht vor allem durch seine Hauptdarsteller Thomas Wehling und Katja Marie Luxembourg, die als Slapstick-Paar einen bemerkenswert guten Job abliefern. Letztlich verlässt man das Theater gutgelaunt, aber mit colagleichem „zero“ Erkenntnisgewinn.

20:00 Uhr, Theater am Alten MarktInfos: 0521-515454