Vom Nazi-Opfer zum Angeklagten

Kurz vor der Fußball-WM sorgte ein Italiener für Aufsehen, der angab, in Berlin von Rechten verletzt worden zu sein. Kurz darauf sah es eher so aus, als wäre er betrunken auf S-Bahn-Gleise gestürzt. Jetzt ist der Fall vorm Amtsgericht

BERLIN taz ■ Klarheit gibt es in dieser Geschichte nur an einem Punkt: Gianni C. hat eine schmerzvolle Fraktur der rechten Kniescheibe erlitten. Ob die Verletzung aber von einem Sturz oder von einem Angriff herrührt, ist unklar.

Der 30-jährige Italiener sagt, er sei in der Nacht vom 13. auf den 14. Mai dieses Jahres in Berlin-Prenzlauer Berg von drei Rechtsextremisten als „Scheiß Ausländer“ beschimpft und angegriffen worden. Wenige Wochen vor der Fußball-WM sorgte diese Nachricht für Aufsehen: Der Staatsschutz ermittelte, italienische Medien fragten, wie sicher der Ostteil der Stadt für Touristen sei, 500 Menschen demonstrierten gegen rechte Gewalt, der Innensenator versprach, alles zu tun, um die Täter ausfindig zu machen.

Doch ob es die überhaupt gibt, steht in den Sternen. Seit gestern muss sich das vermeintliche Opfer als Angeklagter vor dem Amtsgericht Tiergarten verantworten. Gianni C. wird vorgeworfen, den Überfall vorgetäuscht zu haben. Tatsächlich sollen seine Verletzungen von einem Sturz auf die Gleise des Bahnhofs Alexanderplatz herrühren.

Gianni C. äußerte sich nicht zu der Anklage. Seine Anwältin verlas lediglich eine Erklärung. Deren Anfang klang so, als sei alles ein Sprachproblem. Bei der ersten Vernehmung habe es keinen Dolmetscher gegeben, bei der zweiten und dritten Vernehmung habe er noch unter Schock gestanden. Nach der schriftlichen Ankündigung, „Ich möchte, so gut es geht, jetzt berichten“, folgte eine Schilderung seiner Version: Nach seiner Arbeit in einer Trattoria sei er gegen halb eins auf dem Weg zur U-Bahn von drei Männern mit Bomberjacken und Glatzen nach einer Zigarette gefragt worden. Nachdem er verneint habe, sei er gefragt worden, ob er Deutscher sei. Auf seine Antwort „Italiener“ habe er „Scheiß Ausländer“ zu hören bekommen. Dann sei ihm mit einem Holzstock ein Schlag auf die linke Schläfe und das rechte Knie versetzt worden.

Ein Rettungsassistent der Feuerwehr, der Gianni C. später versorgte, widersprach dieser Schilderung. Das Knie sei stark geschwollen gewesen, die Verletzung habe aber nicht zu der Beschreibung gepasst. „Bei einem harten Schlag bleibt etwas zurück. Das kann ein ganz normaler Sturz gewesen sein.“

Als sicher gilt, dass der angetrunkene Gianni C. in das Gleisbett der S-Bahn am Alexanderplatz gefallen ist – vier Stunden nach dem von ihm geschilderten Überfall. Das haben Videokameras um 4.27 Uhr aufgezeichnet. Gianni C. gibt eine seltsame Erklärung für seine Gleisüberquerung an: Er habe seinen Bruder auf dem Gleis gegenüber treffen wollen und mit seiner Knieverletzung keine Treppen steigen können. Was er in der Zeit zwischen dem vermeintlichen Überfall und dem Sturz gemacht hat, blieb gestern offen.

Der Kriminalbeamte, der die Ermittlungen geführt hat, sagte aus, dass es bereits bei der ersten Vernehmung „nicht ganz schlüssige Angaben“ zum Tathergang gegeben habe. Die Videoaufnahmen zeigten zudem eine dem Beschuldigten ähnelnde Person, die erst „nicht verletzt den Bahnhof runtergeht“, später auf die Gleise klettert und stürzt. Dabei handele es sich um die gleiche Person, die später von der Feuerwehr versorgt wurde: Gianni C. „Wir haben ihm eine Brücke nach der anderen gebaut, um aus der Sache rauszukommen“, sagte der Beamte. Doch er sei bei seiner Darstellung geblieben.

Der Bruder des Angeklagten, der nach dem Sturz in die Gleise einen Krankenwagen gerufen hatte, gab vor Gericht an, in dieser Nacht nicht erfahren zu haben, was genau vorgefallen ist. Daran hat sich nichts geändert. „Bis heute weiß ich eigentlich die Einzelheiten nicht.“ Am 26. September wird der Prozess fortgesetzt. BARBARA BOLLWAHN