„Geheimnisse sind Blendwerk“

FILM Ein Dramaturg über das Verhältnis zwischen Spannung und Geheimnissen

■ schreibt Drehbücher, Theaterstücke und Romane. Er war Chefdramaturg der Staatlichen Schauspielbühnen Berlins. Er ist Vorstand im Verband Deutscher Drehbuchautoren und Verwaltungsrat der Filmförderungsanstalt.

taz Panter Workshop: Herr Boeser, wie hängen Geheimnis und Spannung zusammen?

Knut Boeser: Es ist ein Fehler, in der Dramaturgie Spannung über Geheimnisse forcieren zu wollen. Denn Spannung hat nichts damit zu tun, ein Geheimnis aufzudecken, sondern sie entwickelt sich aus der Geschichte heraus, also etwa aus den Konflikten der Charaktere.

Aber wir wollen Geheimnisse immer auflösen. So entsteht Spannung.

Rätsel wollen wir auflösen. Aber die Verrätselung eines Sachverhalts erzeugt keine echte Spannung. Ein Geheimnis sollte nicht künstlich zugeführt werden. Das wäre Blendwerk. Was wirklich interessant ist, ist doch nicht, wer am Ende der Mörder ist, sondern was hat einen Menschen dazu gebracht, einen anderen zu töten. Wie groß muss da die Verzweiflung gewesen sein, um diese Grenzüberschreitung zu riskieren. Dem muss ich durch die Beobachtung der Charaktere und ihrer Konflikte auf die Spur kommen. Ich darf nicht den Fehler machen, der Wahrheitssuche durch „Vergeheimnissen“ auszuweichen, indem ich einer Pseudospannung wegen mir Rätsel ausdenke und deren Lösung am Ende präsentiere.

Ich muss als Dramaturg ein Geheimnis also nicht aufklären?

Ein Geheimnis, das man auflösen kann, ist keines. Alfred Hitchcock hat mit „Die Vögel“ eine moderne Variante für den Einbruch des Irrationalen in unsere vernünftige Alltagswelt verfilmt. Das ist natürlich spannend. Bis zum Ende weiß ich nicht, was die Vögel zum Angreifen bewegt. Der Einbruch des Irrationalen, etwas, wofür ich keine Antwort habe. Das bezeichne ich auch als Mysterium. Die Spannung im Kriminalfall aber liegt gerade in dem, was wir erklären wollen und am Ende auch erklären können, indem wir die Motive für eine Tat verstehen.

Gibt es eine „Bauanleitung“ für spannende Geschichten?

Nein. Spannung funktioniert nicht nach Regeln. Jedes Werk steht für sich und schafft seine ganz eigenen Voraussetzungen. Spannung entsteht immer nur aus der Genauigkeit der Beobachtung und Darstellung eines immer individuellen, also besonderen Falles.

INTERVIEW: ANNA WEUSMANN