Mein Leben im Verborgenen

Geheimnisse haben es nicht leicht in diesen Zeiten. Eine kleine Klageschrift

Das Leben als Geheimnis ist hart. Ich friste ein elendes, trauriges Dasein in der Dunkelheit, werde von euch in die hintersten Ecken des Bewusstseins verbannt oder, wenn ich Glück habe, einfach nur verdrängt. Hätte ich eine Gestalt, wäre ich zerzaust, verwahrlost, ich sähe aus, als hätte man mich durch einen Standmixer gejagt. Ich habe niemanden. Ich bin ganz allein, versteckt vor den Augen der Öffentlichkeit, die alles und stets verurteilt.

„Das Geheimnis darf nie ans Licht kommen!“ Ganz ehrlich: Ich würde mir voll gern mal wieder die Sonne auf den Bauch scheinen lassen und frei und öffentlich durch die Gegend flanieren. Aber nein, das gehört sich nicht für ein Geheimnis, und was Geheimnisse wollen, interessiert offensichtlich niemanden.

Wenn man uns doch einmal verrät, steht die ganze Welt plötzlich Kopf. Wahrscheinlich haltet ihr uns nur so gut versteckt, weil wir so mächtig sind. Schaut euch die Welt mal an! Snowden plappert, und ihr seid voll entsetzt (oder wollt zumindest „Balance und Verhältnismäßigkeit gewahrt“ wissen). Alle schreien: „Ich hab doch nichts zu verbergen!“, aber wehe, ihr zeigt jemandem ein Foto auf dem Handy, und die Person will nach links oder rechts wischen. Wenn es ein Geheimnis doch schafft, öffentlich zu werden, macht ihr „Oooh“ und „Aaaaah“ und „Ich hab’s schon immer gewusst!“ Ihr lest Klatsch- und Tratschmagazine, zerreißt euch das Maul über das Privatleben von Promis, aber habt schon Angst, sobald euch eure neugierigen Nachbarn fünf Sekunden zu lang anschauen.

Nein, nein, ihr habt nichts zu verbergen, aber jeder von euch hat ein Geheimnis.

Wir sind überall. Und warten.

KATARINA GALIC