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Aus dem Land der Gringos

Salsa erobert Berlin: Im Tanz schlüpfen Männer und Frauen in Rollen, die sie im realen Leben hinter sich haben wollen – führen und folgen. Gerade richtig für neurosengeschüttelte Nordeuropäer

VON PETRA DORN

Salsa heißt auf Spanisch Soße, und wer will, kann sich damit in Berlin reichlich übergießen. Denn der gleichnamige Tanz ist dabei, Deutschlands Hauptstadt zu erobern. Fast in jedem Monat entstehen neue Salsaschulen, das Publikum in den sogenannten Salsatecas ist erstaunlich gemischt, vom Schüler bis zum Rentner ist alles dabei.

Die Salsagemeinde wächst beständig. Ob Havanna, Soda oder MiSalsa – täglich kann man Begeisterte in irgendeinem Club beim Führen und Folgen beobachten. Schweiß strömt, Füße schmerzen, doch das ist alles egal, solange die Illusion der karibischen Lebensfreude und der prickelnden Erotik funktioniert.

Franco Sparfeld, ein drahtiger Tänzer mit heiserer Stimme und dünnem Bärtchen, organisiert seit sechs Jahren den jeden September stattfindenden Salsa-Kongress in Berlin. Außerdem ist der 42-jährige Mitinhaber einer Salsaschule in Kreuzberg. Er hat auch gleich die übliche Erklärung für die große Welle parat, die in diesem Sommer in Form von Summer-Salsa, Beach-Salsa, Salsa-Boat etc. auch Berlin erreicht hat : Salsa sei nicht nur ein Tanz, sondern ein Lebensgefühl. Das habe etwas zu tun mit Leidenschaft und Hingabe, aber auch mit Sonne, Strand und guter Laune. Danach hätten die verkopften und neurosengeschüttelten Nordeuropäer Sehnsucht. Aha.

Wer zum ersten Mal das Treiben in den Salsatecas beobachtet, kann nur staunen, was sich die überwiegend europäischen Knochen, Sehnen und Muskeln alles zumuten: Beim kubanischen Salsastil wuseln die Paare in atemberaubender Geschwindigkeit umeinander herum, beim L.A.-Style geht’s eher auf einer Linie immer aneinander vorbei mit schwindelerregenden Drehungen. Arme verschlingen sich und entwirren sich wieder, Hüften wackeln, Schultern kreisen, Füße kommen auch mal aus dem Takt und malträtieren die PartnerInnen – das alles zu einem ungewohnten Rhythmus, den es erstmal zu finden gilt. Wirklich locker und leicht wirkt die Salsa nur bei geübten Paaren.

Bei einigen kommt dann tatsächlich die vielbeschworene Erotik der Salsa zum Ausdruck. Und wie. An den Originalschauplätzen in der Karibik soll dem einen oder anderen Europäer schon mal die Spucke weggeblieben sein, angeblich kommt der mit dem nicht so richtig klar, was er dort auf der Tanzfläche sieht: der vertikale Ausdruck einer eindeutig horizontalen Angelegenheit. Noch unterstützt von hohen Stöckelschuhen und kurzen Röckchen. Ist Salsa also ein Rückfall in überkommenen Rollen, eine reine Macho-Angelegenheit?

Sparfeld lacht. Erst einmal wäre Salsa eine Erfindung aus dem Land der Gringos, zumindest der angesagte L.A.-Style, dem er sich verschrieben hat. Außerdem seien die Männer in seinen Kursen angesichts der neuen alten Rolle, in die sie beim Tanzen schlüpfen müssen, so verunsichert, dass sie sich anfangs nicht mal trauten, ihre Partnerinnen aufzufordern. Auf der anderen Seite hätten selbstbewusste Frauen gewaltige Probleme, sich kompromisslos hinzugeben und führen zu lassen. Es sei nun mal so: Der Paartanz erfordere Führen und Folgen. Ohne diese Rollenverteilung klappe es einfach nicht. Und diese Rollen müssten erst mal wieder eingeübt werden. Von beiden Seiten. Spielerisch natürlich. Das sei wie beim Autofahren: Nur einer könne das Steuer in der Hand haben. Sparfeld kommt richtig in Fahrt: „Wer das einmal erlebt hat, wer einmal mit jemandem getanzt hat, mit dem es wirklich funktioniert, der weiß, was ich meine. Das ist ein Gefühl, das sich mit nichts vergleichen lässt. Einfach cool. Total cool. Der Hammer.“

Sparfeld ist seit Jahren auf den internationalen Salsa-Kongressen unterwegs und bestreitet dort mit seiner jungen Partnerin Lisandra außer Workshops auch gerne mal ein Showprogramm. Alles im L.A.-Style, der mehr Showeffekte bietet, viele Elemente des Tango und des Swing und einiger anderer Tänze beinhaltet und sich im Gegensatz zur Salsa Cubana ständig weiterentwickelt.

Auch bei dem Kongress an diesem Wochenende wird es hauptsächlich um den L.A.-Style gehen – an drei Tagen, mit internationalen Lehrern in mehr als 30 Workshops. Für den Showteil reisen über 20 verschiedene Gruppen aus aller Welt an. Sogar aus Indien werden zwei Paare erwartet. Dazu kommen die Partys: Die erste beginnt am Freitag um 22 Uhr im Havanna-Club; der große „Salsa Masquerade Ball“ mit zwei Showblöcken steigt am Samstag in Huxleys Neuer Welt in der Hasenheide. Für Anfänger wird vorher ein Einführungskurs angeboten, der Grundschritt lässt sich schnell lernen, der Spaßfaktor ist hoch. Und irgendwann fangen die Hüften an zu schwingen. Und wenn dann das Becken endlich einen Kreis beschreibt und kein Viereck mehr, ja dann …

www.salsafestival-berlin.de

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