Doktorspiele mit Millionenschaden

KRIMINALITÄT Der Betrugsskandal in Behandlungszentren des DRK weitet sich aus: Quer durch die Fachbereiche und schon bei der Zulassung sind offenbar falsche Verträge abgeschlossen worden

Die Ärzte müssen sich ihrer Sache sicher gewesen sein: Als die Beamten am Donnerstagmorgen um 6 Uhr zuschlugen, fanden sie ordnerweise Beweismaterial: Geheimverträge, falsche Abrechnungen, alles hatten die beschuldigten Mediziner und Geschäftsleute schriftlich dokumentiert und abgeheftet. Eine dankbare Situation für die Ermittler, haben sie doch ohnehin genug Arbeit: Es geht um banden- und gewerbsmäßigen Betrug in den ambulanten Versorgungszentren der Berliner DRK-Kliniken, in den 62 Menschen verwickelt sein sollen. Der Schaden beläuft sich der Polizei zufolge auf einen zweistelligen Millionenbetrag. „So einen Fall hat es in Berlin noch nicht gegeben“, sagte Oberstaatsanwalt Frank Thiel.

Etwa 300 Beamte durchsuchten mehr als 150 medizinische Einrichtungen, Privatwohnungen und Büroräume von DRK-Ärzten und -Mitarbeitern. Das Team um Kriminalhauptkommissar Karsten Fischer setzte damit die Arbeit fort, die schon in eine Razzia im Frühsommer gemündet war. Damals ging es nur um die Radiologie, nun wird wegen Betrugs im gesamten Gesundheitswesen ermittelt. Auch Teile des Vorstands vom Krankenhausträger, der DRK-Schwesternschaft, sind verdächtig.

In der Regel haben die Kliniken Ärzten die Zulassung abgekauft, um überhaupt ein medizinisches Versorgungszentrum (MVZ) – für ambulante Behandlungen, separat vom Klinikbetrieb – eröffnen zu können. Dieses Abkaufen ist gängige Praxis in der Branche, denn der Bedarf an Fachärzten gilt in Berlin als gedeckt. Im Durchschnitt seien bei der DRK 25.000 Euro pro Zulassung gezahlt worden, sagte Fischer. Indes sollen in diesen Fällen Zusatzvereinbarungen getroffen worden sein: Offiziell wurde der niedergelassene Arzt ins MVZ übernommen, praktisch musste er seine Arbeit gar nicht erst antreten. Die erledigten billigere Assistenzärzte für ihn. Auch Ärzte, die schon Vollzeit an einer Klinik arbeiteten, sollen als „Pappfiguren“ für die Versorgungszentren hergehalten haben. Ähnlich funktionierte der Abrechnungsbetrug: Hier führten oft billigere Assistenzärzte Untersuchungen durch, für die es eigentlich der Qualifikation eines Ober- oder Facharztes bedurft hätte.

Die Kassenärztliche Vereinigung (KV) hegte gleichwohl keinen Verdacht. Sie sei ja nur für den ambulanten Bereich zuständig, erklärte Sprecherin Bettina Friedenberg. Dass ein Arzt möglicherweise noch stationär arbeitete, habe die KV gar nicht erfahren. Auch vom Abrechnungsbetrug habe man nichts erfahren. Die KV prüfe, ob sie der DRK-Schwesternschaft die Zulassung für ihre fünf Versorgungszentren entzieht.

Zwei im Juni festgenommene Geschäftsführer und ein Chefarzt sind wieder frei, aber weiterhin verdächtig. Sie und die anderen Beschuldigten müssen sich auf hohe Strafen gefasst machen: Banden- und gewerbsmäßiger Betrug wird im Einzelfall mit bis zu zehn Jahren Gefängnis bestraft. Jede Quartalsrechnung gilt als Einzelfall. KRISTINA PEZZEI